Essay: Mobilisierung des amerikanischen Volks zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg mithilfe von Bildpropaganda
von Simone Stiehl
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Fragestellung, wie es der US-Regierung unter Präsident Woodrow Wilson nach Jahren der Neutralität 1917 gelingen konnte, eine multikulturelle Bevölkerung von der Notwendigkeit eines amerikanischen Eintritts in den Ersten Weltkrieg zu überzeugen. Es wird davon ausgegangen, dass die staatliche Bildpropaganda durch die Suggestionskraft der Bilder einen wichtigen Beitrag dazu leistete, die mehrheitliche Zustimmung der US-Bürger zu gewinnen, was letztlich auch die Totalisierung dieses Krieges verdeutlicht. Exemplarisch wird an drei Postern des Committee on Public Information und der U. S. Food Administration gezeigt, wie die Konstruktion von Feindbildern und das Einbinden von Kindern und Emigranten dazu beitragen konnten, den patriotischen Geist des Betrachters und das Bild einer nationalen Einheit zu wachzurufen.
Abstract
This study analyses how, after years of neutrality, the government of the USA managed to convince their multicultural society that an American entry into the First World War was necessary. It is presumed that the suggestive power of the state run poster propaganda greatly contributed to winning the approval of the majority of Americans, which resonated in the United States’ total mobilization. Three posters of the Committee on Public Information and the U. S. Food Administration are used to demonstrate how the enemy was represented and how the inclusion of children and emigrants helped to evoke a patriotic spirit as well as an idea of national unity in the observer.
Résumé
L’étude suivant traite la question de savoir comment le gouvernement américain, après des années de neutralité, a réussi à convaincre un peuple multiculturel de la nécessité de l’entrée américaine dans la Première Guerre mondiale en 1917. Il est à supposer que la propagande de l’Etat a contribué énormément à gagner le consentement de la majorité des citoyens américains ce qui explique aussi la totalité de cette guerre. On va montrer par trois images exemplaires de la Committee on Public Information et de l’U. S. Food Administration comment la construction des idées qu’on se faisait sur l’ennemi et l’inclusion des enfants ainsi que des émigrants ont aidé à susciter un sentiment patriotique chez l’observateur et aussi l’idée de l’unité nationale.
Einleitung
‹1› Über zweieinhalb Jahre gelang es Präsident Woodrow Wilson mit seiner Politik der Neutralität, die USA aus dem Ersten Weltkrieg herauszuhalten, der bis zu diesem Zeitpunkt an Brutalität und Zerstörungswut seinesgleichen suchte. Über die fatalen Auswirkungen eines industriellen Kampfes war die amerikanische Öffentlichkeit informiert.1) Deshalb stellt sich die Frage, warum es gelingen konnte, ein Volk für diesen Krieg zu mobilisieren, bei dem es bislang die Rolle des unbeteiligten Beobachters2) innehatte. In dieser Untersuchung wird davon ausgegangen, dass die staatliche Bildpropaganda, v. a. getragen von den Behörden Committee on Public Information3) und U. S. Food Administration,4) einen wichtigen Beitrag dazu leistete, die mehrheitliche Zustimmung der US-Bürger für die Beteiligung am Ersten Weltkrieg zu gewinnen. Die psychologische Beeinflussung war wichtig, da die Gesellschaft im Frühjahr 1917 noch immer nicht von der Notwendigkeit eines Kriegseintritts, der am 6. April desselben Jahres erfolgte, überzeugt war.5) Mehr als alle anderen Nationen zusammengenommen veröffentlichte die US-Regierung Plakate, um ihre Gesamtbevölkerung zu erfassen,6) was ihren Erfolg begründete7) und die Totalisierung des Krieges deutlich macht.8)
‹2› Aus der günstigen Quellenlage der online zugänglichen National Archives-Sammlung wurde eine Auswahl getroffen, die sich auf 1917 beschränkt, da das CPI erst ab diesem für die Meinungsbildung entscheidenden Zeitpunkt9) seine umfassende Öffentlichkeitsarbeit aufnahm. Problematisch an diesen Bildquellen ist, dass es keine exakte Datierung gibt. Zudem ist der Aussagegehalt beschränkt, da nicht sicher messbar ist, welchen Einfluss Bildpropaganda tatsächlich auf die Handlungsentscheidungen der Zeitgenossen haben konnte, da Meinungsumfragen fehlen.10) Für unterschiedliche Themengebiete11) werden Poster beispielhaft mithilfe der ikonographischen Methode untersucht, die auf einer Bildbeschreibung und anschließenden -deutung basiert.
Mobilisierung der Massen durch Bildpropaganda
Aufruf zur Rekrutierung
‹3› Das Poster mit dem Titel Destroy this mad brute - Enlist - U.S. Army (Abb. 1) wurde vom Künstler Harry Hopps vermutlich im Jahr 1917 geschaffen. Es zeigt im Bildvordergrund einen Gorilla, der in seiner rechten Hand eine Keule mit der Aufschrift Kultur hält, während er mit der anderen, ebenfalls blutverschmierten Hand eine Frau umfasst. Auch von der Keule des Affen tropft Blut. Mit weit aufgerissenen Augen und Maul, aus dem Speichel tropft, blickt der Gorilla den Betrachter direkt an. Der starre Blick, der mit dem Adjektiv mad aus dem Titel in Verbindung gebracht werden kann, und die scharfen Zähne wirken bedrohlich. Auf dem Kopf trägt der Affe eine Pickelhaube, die mit der Aufschrift Militarism versehen ist. Der nach oben gekräuselte Bart des Gorillas erinnert an Kaiser Wilhelm II. und erscheint lächerlich und grotesk, da er dem Affen menschliche Züge verleiht. Die Frau mit den wallenden blonden Haaren hält sich die Augen zu. Sie wird nur von einem blauen Tuch umhüllt. Ihr Oberkörper ist entblößt und bildet mit der weißen Hautfarbe einen Kontrast zum Hintergrund, der in verschiedenen Blautönen gestaltet ist. Schwarze Schemen, die die Ruinen einer Stadt andeuten, spiegeln sich im Wasser. Der Boden, auf dem der Affe steht, ist von Wellenlinien durchzogen, weshalb er einem Strand ähnelt. Obwohl der Gorilla einige Buchstaben verdeckt, kann man am Boden den Schriftzug America erkennen.
‹4› Der Gorilla symbolisiert aufgrund der Pickelhaube die Deutschen und charakterisiert sie damit als wilde Bestien. Die entmenschlichte Darstellung des Feindes, wie sie hier praktiziert wurde, war eines der Mittel der Bildpropaganda, um den Krieg zu rechtfertigen.12) Das, was die Deutschen für „Kultur“ halten, wird von ihren Gegnern als steinzeitliche Keule verspottet. Sie trägt dazu bei, die Zerstörungswut des preußischen Militarismus zu verstärken, womit möglicherweise die deutschen Intellektuellen kritisiert werden sollen, die sich z. B. im Aufruf der 93 An die Kulturwelt für die deutsche Kriegführung engagierten.13) Typisch für die Propaganda dieser Epoche ist zudem, dass der Kriegsgegner als Aggressor dargestellt wird, was das Bild von der eigenen Nation aufwertet.14) Aufgrund des Wahnsinns, der über den starren Blick angedeutet wird, verwandelt sich das Tier in eine unkontrollierte Bestie, die ein Feld der Vernichtung hinter sich lässt. So können die zerfallenen Überreste der Stadt im Hintergrund für die zerstörten Städte in Europa stehen, wobei die Ruine Ähnlichkeiten mit der Kathedrale von Reims aufweist. Doch dieses Plakat vermittelt, dass es sich nicht um eine Bedrohung handelt, die auf den europäischen Kontinent beschränkt bleibt: Der Gorilla befindet sich auf amerikanischen Boden und scheint den Betrachter angreifen zu wollen, was seine feindliche Gesichtsmimik erkennen lässt. Die junge Frau in seinem Arm könnte eine Allegorie Europas darstellen, da ihr Gewand und das wallende Haar an den Mythos der von Zeus in Gestalt eines Stieres entführten Europa erinnern. Auch im Mythos trug das wilde Tier seine Beute über das Meer. Die Frauenfigur des Posters lässt den Affen noch unmenschlicher und brutaler wirken, da sie sich nicht wehren kann. Deshalb ruft das Plakat Beschützerinstinkte im Betrachter wach, die nicht nur auf den Beistand in Europa bezogen werden können, sondern auch auf den Schutz des eigenen Landes. Da das Poster zum Militärdienst auffordert, ist es wahrscheinlich, dass diese sexualisierte Darstellung der „Frau in Not“ vor allem Männer ansprechen soll. So erweckt es nicht nur die Aufmerksamkeit des Betrachters: Es liefert ihm zugleich Informationen, indem es vorgibt, dass eine Invasion durch das Deutsche Reich bevorstehen könnte. Die Darstellung des Meeres könnte auch an den Lusitania-Vorfall vom Mai 1915 erinnern, der von der amerikanischen Öffentlichkeit mehrheitlich als unzivilisierter Akt gegen die Menschlichkeit wahrgenommen wurde,15) da ein deutsches U-Boot das Passagierschiff ohne Vorwarnung versenkte. Bei dem Angriff starben auch 128 amerikanische Staatsbürger.16) Dass das Schiff neben Zivilisten auch Munition beförderte, verschwieg die zeitgenössische Presse jedoch überwiegend.17) Diese Versenkung bewirkte einen ersten Gesinnungswandel einiger Amerikaner, da der uneingeschränkte U-Boot-Krieg der Deutschen als Provokation wahrgenommen wurde, die den Nationalstolz empfindlich berührte und die Rechte der Nation auf freien Seehandel einschränkte.18) Private Institutionen wie die National Security League wurden gegründet und riefen die Regierung zur sofortigen Bereitmachung zum Krieg auf,19) um Europa beizustehen und den Erhalt der westlichen Zivilisation zu garantieren.
‹5› Anhand dieses Plakats zeigt sich, dass Bilder in diesem „Kulturkrieg“20) bedeutsam sind, da sie „Ereignisse abbilden und zugleich deren Bedeutung prägen.“21) Mit diesem Poster trug die amerikanische Propaganda dazu bei, ein Feindbild vom Deutschen zu schaffen bzw. vorher bestehende Ängste vor einer Invasion wachzurufen. Daran wird deutlich, dass es ein Ziel der Propaganda war, die Bevölkerung durch das Wachrufen von Ängsten eher zu manipulieren, statt über die tatsächliche Lage zu informieren.22) Die fehlende unmittelbare Bedrohung aufgrund der geographischen Distanz zu Europa erschwerte es den USA, ihre Kriegsbeteiligung zu begründen. Eine Gefahr für das eigene Territorium durch die Mittelmächte, wie oft durch Bildpropaganda suggeriert wurde, bestand nicht.23) Doch indem die Bildpropaganda die Angst vor dem Feind verstärkte, versuchte sie, ihre Rezipienten davon zu überzeugen, dass der Krieg gerechtfertigt sei.24) Zudem sollte die Inszenierung eines gemeinsamen Feindes die Einheit der amerikanischen Bevölkerung stärken, gleichgültig, welcher Nation man ursprünglich angehörte.25) Die Feindbildpropaganda wirkte sich äußerst negativ gegenüber vermeintlich unpatriotischen Mitbürgern aus und beschleunigte die Amerikanisierungsbewegung.26) Viele Deutschamerikaner, die etwa 9% der Gesamtbevölkerung ausmachten, verließen das Land, da man sie der Illoyalität gegenüber den USA verdächtigte.27) Udo Sautter vermerkt, dass die Hasspropaganda des Ersten Weltkriegs noch Jahre später in der amerikanischen Gesellschaft fortbestanden habe.28) Sie schränkte zudem die Handlungsmöglichkeiten der Außenpolitik ein, indem die wachgerufenen Gefühle einen diplomatischen Ausweg aus dem Krieg behinderten.29)
Aufruf zur Zeichnung von Kriegsanleihen
‹6› Das 1917 anonym angefertigte Plakat mit dem Titel My daddy bought me a government bond of the Third Liberty Loan - Did yours? (Abb. 2) zeigt ein junges, weißes Mädchen, das ein Blatt bedrucktes Papier fest an seinen Körper presst. Es lächelt und trägt eine adrette rote Schleife. Das Mädchen scheint gut genährt zu sein und hat rote Wangen. Es trägt ein einfaches weißes Kleid mit Spitzeneinsätzen. Die Bildunterschrift ist passend zur Schleife rot, nur die Wörter Third Liberty Loan setzen sich mit der schwarzen Farbgebung davon ab, was durch die mittige Setzung und Großbuchstaben noch verstärkt wird.
‹7› Die Frage des Schriftzugs Did yours? scheint direkt von dem Mädchen an den Betrachter gestellt zu werden, da es die einzige Bezugsperson ist, auf die sich die vorherige Feststellung beziehen könnte. Damit appelliert das Poster sehr eindringlich an das Gewissen seiner Rezipienten, was oftmals von Propaganda beabsichtigt wurde.30) Denn wenn sich ein kleines Kind schon von seinem Vater eine Kriegsanleihe kaufen lässt, statt Süßigkeiten oder Spielzeug zu erbitten, fühlt sich eine erwachsene Person womöglich dazu veranlasst, ebenfalls die Kriegführung seiner Nation zu unterstützen, indem sie sich an der Kriegsfinanzierung beteiligt. So betrachtet spricht das Plakat weniger Kinder an, obwohl dies zunächst angenommen werden könnte, sondern deren Eltern. Ross Collins bestätigt, dass Kinder in der amerikanischen Propaganda gezielt eingesetzt wurden, um Erwachsene zu manipulieren.31) Auch Celia Kingsbury geht davon aus, dass Frauen und Kinder oft instrumentalisiert wurden, um zu zeigen, wofür man kämpfen oder Anleihen kaufen sollte.32) Das Mädchen erweckt zudem den Eindruck, unschuldig und von den Grausamkeiten des Krieges verschont zu sein, was durch das weiße Kleid angedeutet wird, da Weiß in der westlichen Kultur als Farbe der Unschuld gilt. Dies kann dazu führen, dass die Beschützerinstinkte des Betrachters geweckt werden. Implizit wird suggeriert, wofür der Krieg geführt wird: um den eigenen Kindern eine friedliche Zukunft zu sichern und sie vor den Schrecken des Krieges zu bewahren. Mit der kindlichen Sprache dieses Plakats wird jedoch auch klar, dass das Mädchen wohl kaum Vorstellungen darüber hat, was der Erwerb einer Kriegsanleihe bzw. Krieg im Allgemeinen bedeutet. Die grausame Kriegsrealität wird dadurch verharmlost, was Bildpropaganda, die Kinder thematisierte oder adressierte, häufig bezweckte.33) Dennoch freut sich das Mädchen, womit angedeutet wird, dass es die Kriegsanleihe für etwas Gutes hält. Typisch propagandistisch daran ist, dass Bilder manipuliert werden, um den Krieg als gute und unterstützenswerte Sache erscheinen zu lassen.34) Über die Investition in Kriegsanleihen wurden die US-Bürger zudem persönlich am Kriegsverlauf beteiligt.35) In den USA sei die Öffentlichkeit stark einbezogen worden, was Jennifer Keene von erfolgreichen Anleihekampagnen ableitet, die insgesamt 21,4 Milliarden Dollar einbrachten.36) Indem man den ersten Teil des Begriffs war loan durch liberty ersetzte, wurde nicht nur ein amerikanisches Ideal aufgerufen, sondern auch dem Krieg Sinn verliehen. Ein Kampf für die Verteidigung der Freiheit diente zur Rechtfertigung der nationalen Kriegführung. Wie bereits erwähnt, war eine Invasion in Amerika durch die Deutschen unwahrscheinlich. Deshalb war es eine wichtige Aufgabe der Propaganda, die Verteidigung ideeller Werte zu inszenieren, was an diesem Beispiel deutlich wird.
‹8› Der Spitzeneinsatz am Kleid des Mädchens lässt darauf schließen, dass es sich um ein Kind aus einer eher wohlhabenden Familie handelt, die zumindest der bürgerlichen Mittelschicht angehört. Obwohl zunächst Betrachter aller sozialen Schichten und Ethnien angesprochen sein können, scheint sich das Poster v. a. an Weiße aus der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht zu wenden. Dies begründet sich vermutlich dadurch, dass Angehörige dieser Schichten eher einen Beitrag zur Kriegsfinanzierung leisten konnten. Tanfer Tunc zufolge gehörte es zum Amerikanisierungsprogramm, dass die Bildpropaganda hauptsächlich weiße, protestantische Amerikaner angelsächsischen Ursprungs zeigte und somit zur Norm erklärte.37) Es diente dazu, die heterogene Gesellschaft Amerikas als eine stabile Einheit darzustellen, obwohl dies zur „undemokratische[n] Unterdrückung ethnischer Differenzen“ führte.38) Schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs fürchtete die US-Regierung eine Spaltung des multikulturellen Volks, da etwa ein Drittel der Einwohner einen Migrationshintergrund aufwies und daher mit den jeweiligen Ursprungsländern sympathisierte.39) Dies, so Katja Wüstenbecker, sei der eigentliche Grund für die langanhaltende Neutralität gewesen.40)
Verhaltensregeln bezüglich Nahrungsmittel
‹9› Aufgrund der Lebensmittelknappheit in Europa sahen sich die USA verpflichtet, ein effektives System zu finden, ihre Verbündeten mit Nahrungsmitteln zu versorgen.41) Gleichzeitig sollte die USFA verhindern, dass in den USA ein ähnliches Massenhunger-Phänomen entstand wie in Europa.42) Ihr Vorteil lag darin, die US-Bürger in ihrem Zuhause zu erreichen, indem menschliche Grundbedürfnisse angesprochen wurden.43) Das auf Freiwilligkeit basierende Konzept zum Einsparen von Nahrungsmitteln entsprach dem amerikanischen Ideal der individuellen Freiheit und war sehr erfolgreich.44) Auch die Amerikanisierung wurde von der USFA vorangetrieben: Indem sich die Migranten an der nationalen Einsparungskampagne beteiligten, leisteten sie ihren Beitrag zum Erhalt von Demokratie und Freiheit, da Hunger nichts als Wahnsinn hervorbringen könnte, so wie es den Deutschen oftmals unterstellt wurde.45)
‹10› Das Poster mit dem Titel Food will win the war - You came here seeking freedom, now you must help to preserve it - Wheat is needed for the allies - waste nothing (Abb. 3), das der Künstler Charles Edward Chambers 1917 schuf, entstand als Auftrag der USFA. Es greift das Motto46) dieser Behörde auf, das behauptete, dass das Verfügen über Lebensmittel den Ausgang des Krieges entscheiden würde. Im Bildvordergrund befinden sich auf der rechten Seite eine ältere Frau mit rotem Kopftuch, die einen Korb eingepackter Waren trägt, und ein Mann, der eine Hand auf den Korb der Frau gelegt hat. Mit der anderen Hand deutet er auf die linke Bildseite, auf der ansatzweise eine Anlegestelle und ein daran befestigtes Schiff zu sehen sind. Im Hintergrund sieht man die aus den weißen Nebeln der Großstadt herausragende Freiheitsstatue. Über diesem Monument spannt sich ein Regenbogen in den Farben rot, weiß und blau. Die Stadt leuchtet den noch auf einem Schiff befindlichen Menschen in einem warmen Gelbton entgegen, während ihr eigenes Schiff schwarzen Rauch absondert. Hinter den beiden Figuren im Vordergrund befinden sich fünf weitere Personen, die unterschiedliche Kopfbedeckungen und Trachten tragen, was darauf hindeutet, dass es sich um Einwanderer verschiedener Herkunft handeln könnte. Einer der Männer schwenkt seine Mütze der Stadt entgegen. Das Schiff auf der linken Bildseite scheint mit dem der Einwanderer verbunden zu sein, da seine Taue zu ihnen hinüber reichen.
‹11› Die Schriftzüge stellen eine Beziehung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft her, da daran erinnert wird, dass die Einwanderer kamen (came), um in Amerika friedlich leben zu können. Der erste Satz beschreibt eine Zukunftsperspektive, da durch Nahrungsmittel der Krieg gewonnen wird (will win). Die Gegenwart zeigt sich im letzten Teil, da die ehemaligen Immigranten dazu aufgefordert werden, sich gegenwärtig (now) daran zu beteiligen, den Frieden zu bewahren. Zudem wird daran gemahnt, dass derzeit Weizen von den Alliierten benötigt wird, weshalb an das amerikanische Volk und v. a. an die Bürger mit Migrationshintergrund appelliert wird, keine Lebensmittel zu verschwenden. Der Mann im Vordergrund scheint mit seiner Geste die ältere Dame aufzufordern, ihre Waren an das links wartende Schiff abzuliefern. Folglich impliziert das Plakat, dass jeder dazu beitragen kann, den Krieg positiv zu beeinflussen. Das Poster schließt die ehemaligen Migranten somit in die nationale Gemeinschaft ein und vermittelt ein Gefühl der Solidarität mit der neuen Wahlheimat, die mithilfe der Goldtöne idealisiert wird. Mit der Darstellung der Freiheitsstatue wird zugleich ein Nationalsymbol aufgerufen und der amerikanische Wert der Freiheit angesprochen. Während es bei der Einreise von Migranten um deren individuelle Freiheit geht, wird mit dem Appell deutlich, dass ein universelleres Gut betroffen ist, das individuelle und nationale Freiheit einschließt, aber durch den Hinweis auf die Alliierten auch die Freiheit Europas anklingen lässt. Ein weiteres Nationalsymbol befindet sich in den Farben des Regenbogens, die der US-Flagge entsprechen. Mit der Einreise geraten die Einwanderer in diesem Poster unter die amerikanische Flagge, was ihre nationale Zugehörigkeit verändert. Über nationale Symbole versucht die Bildpropaganda, den Patriotismus und Nationalstolz der Wahl-Amerikaner zu wecken.47) Zudem soll so die multikulturelle amerikanische Gesellschaft geeint werden.48)
Fazit
‹12› Die Untersuchung hat ergeben, dass die amerikanische Bildpropaganda versuchte, die Bevölkerung von der Notwendigkeit einer Beteiligung am Krieg zu überzeugen. Dabei wurden nicht nur Feindbilder vom „unzivilisierten Deutschen“ geprägt, sondern auch Kinder eingebunden, um an die Moral der Erwachsenen zu appellieren. Zudem wurde auch die multikulturelle Einwanderungsgesellschaft einbezogen, um den nationalen Zusammenhalt zu stärken. Durch das Wachrufen starker Gefühle wie Angst, Hass, Solidarität oder Beschützerinstinkte sollen persönliche Betroffenheit und Sorge um das nationale Wohl beim Betrachter ausgelöst werden. Wie effektiv dies gelang, kann jedoch nur schwer festgestellt werden, da womöglich mehrere Faktoren daran beteiligt waren, die US-Bürger für den Ersten Weltkrieg zu mobilisieren. Die Posterkampagnen stellen zudem nur einen Teilbereich dar, der den Propagandisten zur Verfügung stand, um das Volk zu beeinflussen. Für ein facettenreicheres Bild bedarf es weiterer Untersuchungen. Dennoch ist ihre Bedeutung nicht zu unterschätzen: Die Propagandakampagne brachte tiefgreifende Veränderungen für die amerikanische Gesellschaft, da sie über subtile Botschaften die individuelle Meinungsbildung mitbeeinflussen konnte, was im Zweiten Weltkrieg fortgesetzt werden sollte.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
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- Chambers, Charles Edward: Food will win the war - You came here seeking freedom, now you must help to preserve it - Wheat is needed for the allies - waste nothing. 1917. In: National Archives. URL: http://www.loc.gov/pictures/resource/cph.3g09880/ [Aufruf am 29.07.2014].
- Hopps, Harry: Destroy this mad brute Enlist - U.S. Army. 1917. In: National Archives. URL: http://www.loc.gov/pictures/resource/ds.03216/ [Aufruf am 15.08.2014].
Literaturverzeichnis
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- Tunc, Tanfer Emin: Less Sugar, more warships: Food as American propaganda in the First World War. In: War in History 19 (2012), S. 193-216.
- Wüstenbecker, Katja: Die Vereinigten Staaten von Amerika: widerwillige Teilnahme am Ersten Weltkrieg. In: Bauerkämpfer, Arnd [u. a.] (Hrsg.): Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich. 1914-1918. Göttingen 2010, S. 217-237.
Anhang Abbildungen
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Abbildung 1: Destroy this mad brute Enlist – U.S. Army – 1917Urheber: Hopps, Harry R. (1869–1937)Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Harry_R._Hopps,_Destroy_this_ mad_brute Enlist_-_U.S._Army,_03216u_edit.jpg?uselang=deLizenz: Public Domain
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Abbildung 2: My daddy bought me a government bond of the Third Liberty Loan - Did yours? – 1917
Urheber: unbekannt
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:%22My_daddy_Bought_Me_ a_Governement_Bond_of_the_Third_Liberty_Loan._Did_Yours%22_-_NARA_-_512633.tif?uselang=de
Lizenz: Public Domain
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Abbildung 3: Food will win the war – You came here seeking freedom, now you must help to preserve it – Wheat is needed for the allies – waste nothing – 1917
Urheber: Charles Edward Chambers (1883–1941)
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:%22Food_will_win_the_war._ You_came_here_seeking_Freedom._You_must_now_help_to_ preserve_it._WHEAT_is_needed_for_the_allies_-_NARA_-_512499.jpg?uselang=de
Lizenz: Public Domain
Fußnoten
- Vgl. Collins, S. 21 und Wüstenbecker, S. 233. »
- Einige Historiker verweisen darauf, dass die Haltung der USA seit Ausbruch des Kriegs nicht als neutral gelten könne, da sie aus ökonomischen und kulturellen Gründen den Alliierten näher stünden als den Mittelmächten. Vgl. Bass, S. 2, Leonhard, S. 692f. und Doenecke, S. 288. »
- Im Folgenden als CPI abgekürzt. »
- Im Folgenden als USFA abgekürzt. »
- Vgl. Wüstenbecker, S. 223 und Collins, S. 3. »
- Vgl. Tunc, S. 199. Das dies kaum mit demokratischen Prinzipien vereinbar war, kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Vgl. dazu Axelrod, S. 60-63. »
- Vgl. Collins, S. 2 und Ponder, S. 539. »
- Vgl. Rawls, S. 12. »
- Rawls, S. 14. »
- Vgl. Collins, S. 4. »
- Die zentralen Themen der Bildpropaganda umfassen laut Alan Axelrod Folgendes: Erhaltung von Nahrungsmitteln, Unterstützung der Truppen und des Roten Kreuzes sowie die Werbung für Kriegsanleihen. Vgl. Axelrod, S. 142. Auf das Themenfeld des Roten Kreuzes wird verzichtet, da diese Plakatkampagnen erst 1918 verstärkt eingesetzt wurden. »
- Vgl. Tunc, S. 197. »
- Vgl. Bruch, S. 356f. »
- Vgl. Jeismann, S. 199. »
- Vgl. Rawls, S. 105. »
- Vgl. Keene, S. 14f. »
- Vgl. Axelrod, S. 57. »
- Vgl. Rawls, S. 105; Keene, S. 15 und Bass, S. 1. »
- Vgl. Rawls, S. 105. »
- Vgl. Krumeich, S. 18. »
- Vgl. Bruendel, S. 84. »
- Vgl. Collins, S. 13. »
- Vgl. Wüstenbecker, S. 233. »
- Vgl. Pastor, S. 7. »
- Vgl. Keene, S. 35. »
- Da das amerikanische Volk aufgrund der zahlreichen Einwanderer äußerst heterogen war, versuchte die Regierung, die Einwanderungsgesellschaft über patriotisches Gedankengut zu einer Einheit werden zu lassen und somit innere Unruhen zu verhindern, die durch unterschiedliche Sympathien mit den Herkunftsländern entstehen könnten. Vgl. Wüstenbecker, S. 217, S. 219 und S. 235. »
- Wüstenbecker, S. 220. »
- Vgl. Sautter, S. 347. »
- Vgl. Jeismann, S. 198f. »
- Vgl. Kingsbury, S. 10. »
- Vgl. Collins, S. 13. »
- Vgl. Kingsbury, S. 9. »
- Vgl. Kingsbury, S. 9. »
- Vgl. Keene, S. 34. »
- Vgl. Keene, S. 32. »
- Vgl. Keene, S. 32. »
- Vgl. Tunc, S. 204. »
- Vgl. Leonhard, S. 696. »
- Vgl. Sautter, S. 339 und Ferrell, S. 8. »
- Vgl. Wüstenbecker, S. 219. »
- Vgl. Rawls, S. 112f. »
- Vgl. Ponder, S. 540. »
- Vgl. Ponder, S. 539. »
- Vgl. Ponder, S. 540. »
- Vgl. Tunc, S. 203. Vgl. auch oben, Kapitel Aufruf zur Rekrutierung. »
- Vgl. Ponder, S. 544. »
- Vgl. Rawls, S. 25. »
- Vgl. Collins, S. 24. »
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Gesamtausgabe Skriptum 4 (2014), Nr. 2
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Simone Stiehl: Mobilisierung des amerikanischen Volks zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg mithilfe von Bildpropaganda, in: Skriptum 4 (2014), Nr. 2, URN: urn:nbn:de:0289-2014122055, Abs. XY [Datum des Zugriffes].