Unterrichtsentwurf: Die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins in den von Napoleon besetzten Ländern

von Natalie Fridrich


Stundenentwurf für das Fach Geschichte

Thema der Unterrichtsreihe: Europa zur Zeit Napoleons
Reihenrichtziel: Napoleonische Herrschaft in Europa – Zwischen Kooperation und Widerstand
Thema der Stunde: Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins in den von Napoleon besetzten Ländern
Problemziel der Stunde: Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen zur Zeit Napoleons? – Dank Napoleons Wirken oder im gemeinsamen Kampf gegen ihn?
Lerngruppe: Gymnasiale Oberstufe
Autorin: Natalie Fridrich



Zusammenfassung

Zum Unterrichtsthema der gymnasialen Oberstufe macht Natalie Fridrich „Die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins in den von Napoleon besetzten Ländern“, wobei die Frage im Vordergrund steht, ob dieses neue deutsche Nationalbewusstsein zu Beginn des 19. Jahrhunderts dank Napoleon und seiner Herrschaft am Rhein oder im Zuge der Befreiungskriege und somit dezidiert gegen ihn entstanden ist.
Bereit gestellt werden ein kurzer Vorbereitungstext mit den nötigen Hintergrundinformationen, ein plakatives Einstiegszitat und der Appell zum Befreiungskrieg von Ludwig Adolf Peter Graf von Sayn-Wittgenstein aus dem Jahre 1813. Dem gegenüber steht eine weitere, den Franzosen freundlich gesinnte Quelle. Aus den Jugenderinnerungen des Arztes Adolf Kußmaul lässt sich eine positive Bewertung der „Franzosenzeit“ ableiten, sodass die Entstehung des deutschen Patriotismus im Krieg gegen Frankreich relativiert wird. Didaktisch werden so die Grundlagen für eine quellenkritische Auseinandersetzung geschaffen und der multiperspektivische Blick der Schüler geschärft. Eine anschließende Tabelle, die pro- und contra-napoleonische Argumente auflistet, visualisiert die differenzierte Schüler-Perspektive und bildet die Überleitung zu einer abschließenden Diskussion, welche mögliche Antworten auf die Frage nach der Rolle Napoleons für die Deutschen hervorbringen soll.

Abstract

Nathalie Friedrichs proposes the following lesson plan for the senior classes of the German Gymnasium (grammar-school): „Die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins in den von Napoleon besetzten Ländern“ (The Development of a National Sense of Identity in the Countries Occupied by Napeoleon).
The central question, however, is whether this new German national consciousness at the dawn of the 19th century can be traced back to Napoleon’s reign in the Rhineland region or whether it emerged during the wars of liberation as a result of a firm rejection of Napoleon.
The following materials will be given to the pupils beforhand: A short preparatory text with essential background information, a pithy quote , and two historical sources, namely the appeal of Ludwig Adolf Peter Graf von Sayn-Wittgenstein to support the war of liberation, and another more francophile source by the physician Adolf Kußmaul. The latter source points in the direction of a positive experience during the time of French occupation and therefore relativises the claim of a German patriotism as a direct result of the war against France. From a didactical viewpoint, the lesson aims to develop the prerequisites for a critical analysis of historical source texts and different points of view on the topic. Finally, a table listing the respective pros and cons of the Napoleonic arguments is sketched out, visualising the perspectives of the students and leading to the final discussion, which should produce answers to the questions of the role of Napoleon for the Germans.

Résumé

Dans le cadre de sa conception d’un cours d’histoire pour des lycéens allemands, Natalie Fridrich nous propose comme sujet « la genèse et le développement de la conscience d’une identité nationale dans les pays sous l’occupation napoléonienne » (« Die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins in den von Napoleon besetzten Ländern »). A ce titre, elle fait la part belle à la question, si cette nouvelle conscience nationale en Allemagne est due à Napoléon et sa domination le long du Rhin ou bien si elle a vu le jour dans le contexte des guerres de libération représentant donc une réaction explicite contre l’empereur français.
Le concept du cours présent se basera sur les matériaux didactiques suivants : un bref texte préparatoire contenant les informations de fond essentielles, une citation frappante en tant qu’élément introducteur ainsi que deux sources de l’époque relatives à la problématique – d’une part l’appel antifrançais de Ludwig Adolf Peter Graf von Sayn-Wittgenstein datant de 1813 qui incite les Allemands à s’impliquer dans la guerre de libération, d’autre part les souvenirs d’enfance du médecin allemand Adolf Kußmaul. Faisant preuve d’une attitude francophile ainsi que d’une évaluation tout à fait positive de l’occupation française, cette source permet de relativiser l’hypothèse de la naissance du patriotisme allemand au cours de la guerre antinapoléonienne. C’est ainsi que – d’un point de vue didactique – le cours présent fournit les bases pour une lecture critique des sources tout en respectant et aiguisant l’un des piliers primordiaux de l’enseignement de l’histoire, la multiperspectivité. Une grille énumérant les arguments ‘pour et contre Napoléon’ visualisera la perspective nuancée des apprenants. De surcroît, celle-ci servira en tant qu’élément de transition vers une discussion finale, qui permettra de trouver des réponses quant à la question principale du cours présent : le rôle et la place historique de Napoléon dans la genèse d’une identité nationale allemande

Arbeitsergebnisse1)

1) Die Entwicklung hin zu einem nationalen Identitätsbewusstsein der Deutschen in Bezug auf die antinapoleonische Bewegung äußert sich zum einen in den entstehenden Vereinigungen/Verbänden über die fürstlichen Staatengrenzen hinweg, wie dem ‚Tugendbund‘, den Turnvereinen durch ‚Turnvater‘ Jahn, aber auch durch die Schriften national gesinnter und/oder patriotischer Dichter und Denker, wie Fichte und Körner. Zum anderen deuten die ‚Befreiungskriege‘ selbst auf einen nationalen Charakter hin, der im gemeinsamen Kampf von Deutschen aus verschiedenen Staaten deutlich wird.

2) In seinem Aufruf spricht Graf Wittgenstein „Männer aus allen Gegenden Deutschlands“2) an und fordert sie dazu auf, gemeinsam mit den Russen und Preußen gegen die Fremdherrschaft Napoleons in den Krieg zur Befreiung des „Vaterlandes“ zu ziehen. Diese Anrede signalisiert ein alle Deutschen vereinigendes Band. Denn mit dem Ausspruch „Westphäler oder Sachsen, Bayern oder Hessen, alles gleich viel! Wenn Ihr nur Deutsche seyd und deutsche Herzen mitbringt“ werden alle Deutschen dazu aufgefordert, für die „deutsche Freiheit“ gegen Napoleon zu kämpfen. Dabei nimmt Preußen durch seine Vorreiterstellung im antifranzösischen Krieg eine besondere Rolle ein.

3) Mit dem Hinweis auf das gemeinsame Vaterland, das es gegen Napoleon zu befreien gilt, sollen möglichst viele Deutsche zum Kampf bewegt werden, um eine starke Armee gegen Frankreich aufbieten zu können. Diese Zweckmäßigkeit macht deutlich, dass hier keineswegs die reale Vorstellung der Schaffung eines deutschen Nationalstaates im Zentrum steht, sondern in erster Linie der militärische Erfolg gegen Frankreich gesichert werden soll. Vor dem Hintergrund dieser Quelle ist es somit kritisch zu betrachten, ob es sich bei den ‚Befreiungskriegen‘ um eine nationale Volkserhebung gegen die Fremdherrschaft Napoleons handelte und diese somit einen Ausdruck für die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins darstellen.

4) Als positive Veränderungen zur Zeit Napoleons, die zur Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen beigetragen haben, kann zum einen die territoriale Neuordnung Napoleons genannt werden, die aus den zahlreichen, kleinen, deutschen Fürstenstaaten durch Mediatisierung eine geringere Anzahl deutscher Staaten schuf, die im Rheinbund vereint waren. Eine Folge der Eingliederung der linksrheinischen Gebiete war es, dass die dort wohnhaften Deutschen gemeinsam unter gleichem französischem Gesetz lebten. Dies bedeutet, dass auch die Einführung des Code civil eine national gesinnte Entwicklung förderte.

5) Die positiven Erinnerungen des Arztes Kußmaul an Napoleon machen deutlich, dass der französische Feldherr nicht in allen Gebieten Deutschlands negativ beurteilt wurde. Während Preußen ein negatives Bild von ihm hatte, wurden die von ihm eingebrachten Reformen in den Rheinbundstaaten als Fortschritt gesehen und positiv bewertet. Somit vermitteln die beiden Quellen den SchülerInnen ein differenziertes Bild von der antinapoleonischen Bewegung, indem auch auf die Verdienste Napoleons für die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen hingewiesen wird.

6) Bzgl. der Frage nach der Bedeutung Napoleons und der ‚Befreiungskriege‘ für die Entwicklung eines ‚deutschen‘ Identitätsbewusstseins müssen die Zusammenhänge der Zeit kritisch und multiperspektivisch betrachtet werden. Man kann die Befreiungskriege nicht einfach als gesamtdeutsche nationale Bewegung betrachten, es gilt zu differenzieren und zu hinterfragen.

Tabellarischer Unterrichtsverlauf

Aus technischen Gründen wird in der Webansicht auf die Ausgabe als Tabelle verzichtet und dagegen der Übersichtlichkeit wegen eine Listenansicht dargestellt (Anm .d. Red.).

  1. Einstieg: gUg – Folie – AE 1 – 5–7 min.

    • Zitat „Die antinapoleonische Bewegung war die erste politische Nationalbewegung in Deutschland und ein großer Impuls für die deutsche Nationsbildung.“ (Otto Dann, S. 20)

      • Äußern Sie sich zu dieser These vor dem Hintergrund des Vorbereitungstextes (M1) und den Kenntnissen aus den vorangegangenen Stunden.

  2. Erarbeitungsphase: GA – Ab. – AE 2–5 – 20 min.

    • Quellenarbeit mit zwei Quellen: 1) Aufruf zur Erhebung durch Graf Wittgenstein (M2) 2) Erinnerungen eines Arztes (M3)

  3. Auswertungs- und Sicherungsphase: gUg – TB – AE 2–5 – 2–15 min.

    • Fragen zu den Quellen besprechen, gemeinsames Tafelbild erstellen zu den Ergebnissen und dem Problemziel der Stunde.

  4. Diskussionsphase: D – AE 6 – 5 min.

    • Abschließende Diskussion zum Fazit bzw. abschließenden Erkenntnis aus den Ergebnissen der EA und des TB.

  5. Hausaufgabe: Folie – 2–3 min.

    • „Napoleon ist zum Geburtshelfer der deutschen Nation geworden“ (verkürzt, vgl. Ute Planert in der ZDF-Reihe „Die Deutschen“, Folge 7, 42.Min.: www.zdf.de/ZDFmediathek/ (Zugriff 03.04.2012) )

      • Verfassen Sie vor dem Hintergrund der Überlegungen der heutigen Stunde und der Informationen zu den Beschlüssen des Wiener Kongresses zu der genannten Aussage eine differenzierte, kritische Stellungnahme.

Bemerkungen zur Lerngruppe

‹1› Da das Thema der vorliegenden Unterrichtsreihe im Geschichtsunterricht (der Oberstufe) behandelt wird, gilt es bei der Konzeption des Unterrichts, d.h. bei der Auswahl von Texten, Quellen und Aufgabenstellungen darauf zu achten, dieser Lerngruppe gerecht zu werden. Dabei sind bspw. die Vorkenntnisse, die zu erwarten sind oder eben nicht vorausgesetzt werden können, während der Überlegungen zum Unterrichtsverlauf zu bedenken und die Materialien und/oder einzelne Lernphasen dementsprechend anzupassen. Je nach Binnendifferenzierung der Lerngruppe könnten schwächeren Gruppenteilen zusätzliche, das Verständnis erleichternde Informationen und/oder angepasstes Quellenmaterial zur Verfügung gestellt werden, um differenziert auf heterogene Lern- und Fähigkeitsniveaus zu reagieren.3) Neben den auszuhändigenden Materialien muss auch bei der Formulierung des Problemziels die Lerngruppe eine zentrale Rolle spielen, da dieses in der Essenz von der Lerngruppe in der Einstiegsphase formuliert werden sollte. Dies gelingt nur, wenn die „vom Lehrer initiierte In-Beziehung-Setzung der [geistigen] Zeichnung [der historischen Begebenheit] mit den Betroffenheiten, Bedürfnissen und Interessen des lernenden Subjekts“4) (und der ganzen Gruppe) verknüpft werden kann und sich „aus dieser Verknüpfung [..] das Problembewusstsein formt [..] [E]rst dann kann das Problem fixiert [..] werden.“5)Die gesellschaftliche Relevanz des Problemziels sollte daher den SchülerInnen verständlich sein.6)

Didaktische Reflexion

Einordnung in den Lehrplan und die Reihenplanung

‹2› Die vorliegende problemorientierte Unterrichtsstunde ist Bestandteil der Reihenplanung „Europa zur Zeit Napoleons“7). Innerhalb dieser Reihe ist die Stunde mit dem Thema „Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins in den von Napoleon besetzten Ländern“ mit dem Fokus auf die deutschen Gebiete im Zusammenhang mit den ‚Befreiungskriegen‘ zu verorten. In den vorangegangenen Stunden haben sich die SchülerInnen bereits mit dem Aufstieg Napoleons und mit den durch ihn entstandenen geographischen sowie gesetzlichen (Code civil) Veränderungen in den von ihm besetzten und beeinflussten deutschen Gebieten auseinandergesetzt. Ferner beschäftigten sich die SchülerInnen mit dem Verlauf der napoleonischen Feldzüge sowie dem in Europa aufkeimenden Widerstand gegen die Hegemonie Napoleons, was schließlich zu seinem Untergang führte. In diesem Zusammenhang wurden auch die Reformen in Preußen thematisiert, wobei der Begriff ‚Befreiungskriege‘ bereits gefallen ist. Diese Themen können bspw. mit dem Schulbuch in Verbindung mit weiterführenden, vertiefenden Materialien behandelt werden. Eine Bearbeitung mit eigenem Material ist jedoch natürlich ebenso möglich.

‹3› In der hier vorgestellten Stunde geht es um die Frage nach der Bedeutung Napoleons für die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen. Als Schwerpunkt ist deshalb ‚Deutschland‘ gewählt worden, weil es im Vergleich zu anderen Staaten, wie z.B. Spanien, welches ebenfalls im Kampf gegen Napoleon ein Nationalgefühl entwickelte, eine besondere Stellung einnimmt. Denn im Gegensatz zu den anderen europäischen Staaten, die einen geographisch definierten ‚Boden‘ für eine Nationsbildung besaßen, war der sogenannte ‚Flickenteppich‘ charakteristisch für das ‚deutsche Volk‘, das auf diese Weise auf viele verschiedene kleinere und größere Fürstenstaaten zerstreut war. In dem Hausaufgabentext zu dieser Stunde wird auf die Entwicklung eines Nationalgefühls außerhalb der deutschen Gebiete mit dem Beispiel Spanien hingewiesen, im Zentrum des Unterrichts soll aber nun das deutsche Identitätsbewusstsein stehen. Des Weiteren kann angenommen werden, dass durch die paradigmatische Erarbeitung an Hand des ‚Heimatlandes‘ bzw. des aktuellen Wohnlandes der SchülerInnen eine engere Beziehung zu den historischen Entwicklungen sowie ein gesteigertes Interesse vorhanden ist; eine vergleichende und damit auch kontrastierende Bearbeitung der spanischen Historie könnte begleitend oder zeitlich nah in einer Spanisch-AG oder fächerübergreifend im Spanischunterricht erfolgen.

Vorbereitungstext, Problemziel und Fokus der Stunde

‹4› Als Vorbereitungstext zu dieser Stunde habe ich einen einführenden Text verfasst, der zentrale Elemente und Schlagworte des Themas enthält und in Bezug zueinander setzt. Natürlich wäre auch der Verfassertext eines Schulbuches oder ein Teil einer wissenschaftlichen Publikation, bspw. ein Auszug aus dem Aufsatz Deutsche Nationsbildung im Zeichen französischer Herausforderung des Historikers Otto Dann8), nutzbar. Der Text soll den SchülerInnen eine Einführung in das Thema der Entwicklung des nationalen Bewusstseins in Deutschland zur Zeit Napoleons bieten. Bei der Erstellung bzw. der Wahl des geeigneten Ausschnitts dieses einführenden Textes ging es darum, dass die SchülerInnen wichtige Grundlageninformationen erhalten. Zum einen zu den patriotischen Bewegungen, die noch vor den ‚Befreiungskriegen‘ in den deutschen Gebieten aufkamen, und zum anderen zu den antinapoleonischen Agitationen während der ‚Befreiungskriege‘. Damit wird auf den zeitlichen Schwerpunkt der Quellenarbeit hingeführt, da die erste Quelle, der Aufruf zur Erhebung gegen Napoleon, in der Zeit der ‚Befreiungskriege‘ entstanden ist. Die Hausaufgabe bzgl. dieses Vorbereitungstextes bestand darin, ihn zu lesen und sich zu den hervorgehobenen Begriffen (Tugendbund, Turnvater Jahn, Fichte, Moritz Arndt, Theodor Körner) sowie zu anderen, den einzelnen SchülerInnen unbekannten, Begrifflichkeiten eigenständig nähere Informationen zu beschaffen. Bei der Textauswahl wurde darauf geachtet, dass dieser im Hinblick auf das Alter und das Vorwissen der SchülerInnen verständlich zu lesen ist. Personen wie Stein, Hardenberg und Scharnhorst sowie der Verlauf der Kriege gegen Napoleon werden aufgrund der vorangegangenen Behandlung der preußischen Reformen und des Werdegangs der Kriegszüge Napoleons als bekannt vorausgesetzt. Im Text enthaltene Wörter, die möglicherweise noch nicht dem Wortschatz der SchülerInnen entsprechen, werden unter dem Text kurz erläutert.

‹5› Für die geplante Unterrichtsstunde wurde programmatisch das Problemziel: Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen zur Zeit Napoleons?DankNapoleons Wirken oder im gemeinsamen Kampf gegen ihn? formuliert.

‹6› Der Fokus bzgl. des Themas der Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins wird historisch gesehen auf den antinapoleonischen Bewegungen in den ‚Befreiungskriegen‘ liegen. Denn gerade diese scheinen den Charakter einer nationalen Volkserhebung widerzuspiegeln. Dieser Eindruck soll in der Stunde aber thematisiert und problematisiert werden, denn auch in der Fachwissenschaft wird oft betont, dass es sich nicht eindeutig um eine revolutionäre Erhebung des ‚deutschen Volkes‘ handelte. Aus diesem Grunde wurde das Fragezeichen nach dem ersten Satz bewusst gesetzt. Denn es gilt die Aussage, die Zeit unter/gegen Napoleon habe zu der Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen geführt, differenziert und kritisch zu betrachten. Dass in der Tat patriotische Gesinnungen entstanden und auch der Blick auf die ‚Befreiungskriege‘ als besonderes, neues Ereignis angesehen werden kann, das in gewissem Maße „das nationale Selbstgefühl“9) steigerte, soll nicht bestritten werden. Doch darf eine solche Aussage nicht verallgemeinert und verabsolutiert werden. Neben dem Einblick in die Thematik bei Günter Naumann10)und dem guten Überblick bei Golo Mann11), sind es Ferdi Akaltin12), Otto Dann13), Detlef Rogosch14)und Ute Planert15), die einen kritischen, differenzierten Blick auf diese Sichtweise werfen.

Das Thema in der Fachwissenschaft

‹7› Bezüglich der Bedeutung Napoleons für das allmähliche Aufkeimen eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen stellt sich die Frage, inwiefern der französische Eroberer als Wegbereiter der Entstehung eines deutschen Nationalgefühls angesehen werden kann. Zu hinterfragen ist, ob man überhaupt von so etwas wie einer ‚nationalen Erhebung‘, also einer weit verbreiteten Nationalbegeisterung in den deutschen Gebieten, sprechen kann, die in den antinapoleonischen Bewegungen zum Ausdruck kam. In der Fachwissenschaft ist die Rede davon, dass es in Wirklichkeit gar keine derart weite Verbreitung solcher Gedanken in der Bevölkerung gab, dass sie eher bei den „nationalbewußten Bildungsschichten“16)vorzufinden waren, an den weniger Gebildeten aber vorbeigingen.17) Auch Rogosch konstatiert, dass der „Reichspatriotismus bzw. die beginnende deutsche Nationalbewegung auf eine kleine Schicht der Bevölkerung begrenzt“18) war. Es werde auch oft überschätzt, wie viele Freiwillige sich aus den deutschen Gebieten tatsächlich für den Krieg gegen Napoleon meldeten, so Planert.19)Insgesamt wird die Bewertung der „Befreiungskriege als Geburtsstunde des deutschen Nationalismus“20) somit kritisch, bzw. differenziert betrachtet. Denn zum einen darf die militärische Notwendigkeit, die hinter dem Anwerben von Rekruten und der Propaganda zum ‚vaterländischen Krieg‘ stand, nicht außer Acht gelassen werden.21) Zum anderen ist die antinapoleonische Bewegung auch keineswegs als einheitliche deutsche Bewegung anzunehmen, da man zwischen den verschiedenen deutschen Regionen differenzieren muss22)und nach Dann „mit Vaterland“ womöglich „zunächst der Einzelstaat gemeint“23)war.

‹8› Die zweite, mit der ersten zusammenhängende, Frage wirft einen näheren Blick darauf, inwiefern Napoleon zu einer Entwicklung des nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen (die zuvor differenziert hinterfragt wurde) beigetragen hat. Dabei gilt es wiederum eine kritische und multiperspektivische Sicht auf das Wirken und die Bewertung Napoleons zu gewährleisten. Es müssen positive und negative Sichtweisen beleuchtet, d.h. ‚pronapoleonische‘ sowie ‚antinapoleonische‘ Bewegungen als Sinnbild für das Aufkeimen eines nationalen Selbstverständnisses der Deutschen betrachtet werden.

‹9› Insgesamt ist es dabei wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass die napoleonische Herrschaft verschiedene Reaktionen in den verschiedenen deutschen Gebieten hervorgerufen hat. Es muss unterschieden werden; man kann nicht von einer allgemeinen antinapoleonischen Stimmung in ‚Deutschland‘ sprechen.24) Preußen, der Rheinbund und das Rheinland waren verschiedene deutsche Gebiete, die wiederum unterschiedliche Erfahrungen mit Napoleon bzw. seiner Herrschaft, wie z.B. der Einführung des Code civil, als einem einheitlichen Gesetzeswerkes, machten; diese müssen demnach differenziert betrachtet werden.

‹10› Auch im Hinblick auf das Reihenrichtziel mit dem Antagonismus „Zwischen Kooperation und Widerstand“ bzgl. der napoleonischen Herrschaft in Europa, ist das Problemziel ebenfalls mit einer differenzierten Sicht ausgelegt, sodass kritisches Hinterfragen gefördert wird.

‹11› Otto Dann formuliert in seinem Beitrag folgenden Satz zur „antinapoleonischen Bewegung“ als „Schlüsselereignis der modernen deutschen Nationalgeschichte“25): „Ihr nationaler Charakter ist jedoch nicht so eindeutig und durchgängig, wie es die frühere Geschichtsschreibung stets vorgab, und ebenso greifen diejenigen zu kurz, die ihn heute ganz in Abrede stellen oder nationalistisch umdeuten wollen.“26) Eine ähnlich differenzierte Betrachtung, wie sie der Autor in diesem Zitat übt, soll in einer problemorientierten Unterrichtsstunde Anwendung finden und auf diesem Wege den SchülerInnen die Notwendigkeit von Reflexion und Multiperspektivität nahe legen.

Gesellschaftliche Relevanz

‹12› Die Fähigkeiten zu kritischen, differenzierten, multiperspektivischen Betrachtungen vorliegender Sachverhalte sind nicht nur für den Geschichtsunterricht von Bedeutung, sondern haben in einem großen Maße eine gesellschaftliche Relevanz. Sowohl im persönlichen Kommunikationsrahmen als auch z.B. bei der politischen Meinungsbildung sollen die SchülerInnen dazu bewegt werden, Sachverhalte nicht unkritisch zu verallgemeinern, nicht oberflächlich und unreflektiert ‚in Schubladen zu stecken‘ und Meinungen anzunehmen. Stattdessen gilt es zu hinterfragen, ins Detail zu gehen, verschiedene Perspektiven einzunehmen, kritisch zu bewerten und dadurch zu einer Entscheidung/einem Urteil zu gelangen.

‹13› Zu den kritisch zu hinterfragenden Sachverhalten in der Lebenswelt der SchülerInnen zählt auch der ‚eigene‘ Nationalstaat, in dem sie leben. Dieser wird von vielen Menschen oft unreflektiert als schon immer gegeben, das ihn bewohnende ‚Staatsvolk‘ als durch die Zeiten hinweg unverändert, hingenommen, der Konstruktionscharakter von ‚Volk‘ und ‚Nation‘ übersehen wenn nicht sogar verneint.27) Das historische Gewachsensein – oft angetrieben und zumindest subtil gelenkt durch Politiker, Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler – der (europäischen) Nationalstaaten und der diese bewohnenden ‚Staatsvölker‘ wird oft nicht differenziert genug wahrgenommen. Auch die auf Exklusions- wie Inklusionsmechanismen fußende Schaffung eines nationalen Bewusstseins sollte von den SchülerInnen kritisch betrachtet werden.28)

‹14› Neben dem Konstrukt einer nationalstaatlichen Identität sollte in diesem Zusammenhang auch auf mögliche Alternativen, wie regionale Identitätsbewusstseine – bspw. an Hand der kulturellen Diversität innerhalb und unter den deutschen Kleinsstaaten des sogenannten ‚Flickenteppichs‘ – oder auf ein europäisches bzw. globaler ausgerichtetes Identitätsbewusstsein, hingewiesen und eingegangen werden. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass bspw. die bei der Identitätssuche sinnvolle Konzeption der ‚Regionen‘ unreflektiert von einem ‚Nationenkonzept‘ dominiert werden muss.29)

Einstiegsphase

‹15› Ein Zitat aus einer anderen Stelle des für den Vorbereitungstext herangezogenen Aufsatzes von Otto Dann wird als Einstieg für die problemorientierte Stunde gewählt. Wie aus den vorangegangenen Ausführungen deutlich wird, geht der Verfasser differenziert mit der Frage nach dem nationalen Charakter der ‚Befreiungskriege‘ um. Diese Differenziertheit wurde aber bewusst noch nicht für die SchülerInnen offengelegt, weil sie bei der eigenständigen Quellenarbeit in der Unterrichtsstunde zum Tragen kommen soll.

Erarbeitungsphase

Quellenauswahl

‹16› Hinsichtlich der Auswahl der Quellen für die problemorientierte Gruppenarbeit für das Thema der Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen zur Zeit Napoleons wären sicherlich auch andere passende Quellen möglich gewesen. Das Beispiel des Lützower Freikorps und Werke von deutschen Schriftstellern, wie den Nationaldichtern Körner oder Arndt, sind sicherlich dazu geeignet das Erwachen des Nationalbewusstseins während des Kampfes gegen die napoleonische Fremdherrschaft deutlich darzustellen und den SchülerInnen vor Augen zu führen. Auch der ‚Turnvater‘ Friedrich Ludwig Jahn, den Günther Jahn im Titel seines Werks als „Volkserzieher und Vorkämpfer für Deutschlands Einigung“30) betitelt, wäre eine Möglichkeit zur Behandlung dieses Themas gewesen. Doch für eine problemorientierte Stunde wurde ein anderer Fokus gewählt, u.a. weil in der Fachwissenschaft oft davon die Rede ist, dass gerade diese Gedichte, Lieder und Freiwilligenverbände insgesamt nicht ausschlaggebend waren, vielmehr zum Mythos wurden, oder doch zumindest in ihrer Wirkung umstritten sind.31)

‹17› Die nationalen Bewegungen und Entwicklungen in den deutschen Gebieten sind aber keinesfalls zu unterschlagen, daher werden die SchülerInnen in dem Vorbereitungstext der Hausaufgabe auf solche Entstehungen hingewiesen. Im Zentrum der problemorientierten Stunde soll aber die kritische Auseinandersetzung mit der Bewertung der ‚Befreiungskriege‘ gegen Napoleon als Volks- bzw. nationale Erhebung stehen. Dabei spielt auch die Sicht auf Napoleon eine wichtige Rolle, die von einem deutschen Staat zum anderen variieren konnte. Weil Differenzierung und Multiperspektivität bei der Erarbeitung dieser Thematik wichtig sind, wurden für die Quellenarbeit während der Stunde zwei unterschiedlichen Quellen gewählt. Dem Aufruf des Grafen Sayn-Wittgenstein als erste Quelle steht der Auszug aus den ‚Jugenderinnerungen eines alten Arztes‘ als zweite Quelle gegenüber. Zwei unterschiedliche Personen in unterschiedlichen Positionen und mit von einander zu unterscheidenden Absichten/Zielen, die auch zwei verschiedene Perspektiven auf Napoleons Herrschaft bieten, werden hier zur Betrachtung herangezogen. Auf diese Weise wird versucht, einen differenzierten Blick auf die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen zu erzielen.

Sachanalyse der Quellen und Reflexion der didaktischen Reduktion

‹18› Zum Verfasser der ersten Quelle, Ludwig Adolph Peter Graf von Sayn-Wittgenstein-Berleburg, reichen die Informationen, dass er seinerzeit als Generalfeldmarschall der russischen Armee tätig war und mit den russischen und preußischen Truppen in den ‚Befreiungskriegen‘ gegen Napoleon kämpfte. Nähere Kenntnisse zur Person werden für die Erarbeitung der Quellen nicht relevant sein.

‹19› Der auf den 23. März 1813 datierte Aufruf zur Erhebung aller Deutschen außerhalb Preußens gegen Napoleon ist chronologisch als Auftakt zu den ‚Befreiungskriegen‘ anzusehen. Nachdem die Grande Armée Napoleons im Winter 1812 auf dem Russlandfeldzug scheitert, kam es daraufhin zu der sogenannten Konvention von Tauroggen, in der ein Waffenstillstand zwischen Preußen und Russland vereinbart wurde. Am 16. März 1813 erklärte Preußen Frankreich den Krieg und kämpfte auf der Seite Russlands gegen Napoleon. Für die Ermittlung des historischen Hintergrunds sind einige Hinweise in der Quelle zu erkennen, vor allem werden jedoch Kenntnisse aus den vorangegangenen Stunden von den SchülerInnen vorausgesetzt, die sie als Transferwissen zur Bearbeitung der ersten Aufgabe abrufen können.32) Da die SchülerInnen den Verlauf der Kriegszüge gegen Napoleon behandelt haben, ist ihnen bekannt, dass Russland gemeinsam mit Preußen gegen Napoleon in den Krieg zog.

‹20› Bei der Analyse des Inhalts der Quelle stößt man zum einen auf die Besonderheit der Adressaten, die in diesem Aufruf angesprochen werden.33) „Deutsche Jünglinge und Männer“ außerhalb von Preußen sind es, an die der Verfasser appelliert, „Männer aus allen Gegenden Deutschlands“, die aufgerufen werden. Weiter heißt es: „Westphäler oder Sachsen, Bayern oder Hessen, alles gleich viel! Wenn ihr nur Deutsche seyd und deutsche Herzen mitbringt.“ An dieser Stelle wird der gesamtdeutsche Bezug deutlich. Es sind alle Deutschen, die trotz der Staatengrenzen als ein gemeinschaftliches Volk zum gemeinsamen Kampf gegen Napoleon aufgerufen werden. Damit ist auch schon die Antwort auf die Frage, wozu der Graf die Deutschen aufruft, angesprochen. Für die Freiwilligen, mit denen „mehrere deutsche Legionen errichtet werden sollen“, gilt es „brüderlich“ mit den Russen und Preußen für die „Befreiung des Vaterlandes“ zu kämpfen. Es ist die Rede von einem „heiligen Krieg“, in dem sie gegen die Unterdrücker „Rache“ üben und für die „Freiheit“, ja gar für die „deutsche Freiheit“ in den Krieg ziehen sollen. Den Preußen kommt dabei eine besondere Stellung zu, da sie die ersten sind, die an der Seite Russlands gegen Napoleon zu Felde ziehen. Graf Wittgenstein propagiert die Preußen als Vorbild für alle Deutschen. Mit seiner Beschreibung „wie herrlich die wachern Preußen sich zusammennehmen“ will er erreichen, dass sich auch Menschen aus den anderen deutschen Staaten „durch das edle Beispiel Preußen“ – wie er es formuliert – dazu ermutigt fühlen gegen Napoleon zu kämpfen. Seine Intention ist die Rekrutierung neuer Soldaten und Truppenteile für seine Armee.

‹21› Bei der Frage nach dem Zweck des Aufrufs, kann man aus der historischen Lage jener Tage und der formulierten Aufforderungen heraus, das Ziel des Verfassers erkennen. Freiwillige für den Kampf gegen Napoleon wurden gesucht. Die preußischen Truppen hatten sich bereits der russischen Armee angeschlossen, nun galt es aber weitere Soldaten zu werben, um eine möglichst große Streitmacht den französischen Truppen entgegenstellen und Napoleon besiegen zu können. Es sollten „mehrere deutsche Legionen“ errichtet werden, deshalb wurden die Deutschen dazu aufgerufen, sich „in Berlin sowohl als in den Hanseestädten [sic]“ zu melden.

‹22› Somit wird deutlich, dass bei diesem Appell an alle Deutschen, die zum vereinten, brüderlichen Kampf gegen Napoleon für die Freiheit aufgerufen wurden, die militärische Notwendigkeit im Vordergrund stand, nicht aber der Kampf um einen freien, einheitlichen deutschen Nationalstaat. Erste Priorität des als ‚Befreiungskrieg‘ propagierten Kampfes gegen Napoleon war es also, eine hohe Anzahl an Männern für den Einsatz gegen die französische Fremdherrschaft zu mobilisieren. Damit soll diese Quelle dann auch dazu anregen, die ‚Befreiungskriege‘ als Ausdruck der Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen kritisch und differenziert zu betrachten. Zumal ist es umstritten ist, ob diejenigen Deutschen außerhalb Preußens, die sich dieser Armee anschlossen, denn überhaupt verbreitet aus nationalem Interesse, Bestreben und nationaler Überzeugung handelten oder ob es nicht viel wahrscheinlicher ist, dass man dabei lokal beschränkt war, indem der Fokus lediglich auf dem eigenen deutschen Staat und Fürsten, dem man angehörte, sowie den persönlichen Umständen lag.

‹23› Die zweite Quelle soll dazu dienen, eine andere Sicht auf Napoleon und die ‚Befreiungskriege‘ zu erhalten.34) Aus diesem Grunde ist der kurze Auszug aus den „Jugenderinnerungen eines alten Arztes“, worin Adolf Kußmaul rückblickende Äußerungen seines aus Baden stammenden Vaters Philipp Jakob (1790–1850) wiedergibt, zur Verdeutlichung einer gegensätzlichen Meinung ausreichend. Der im Text zitierte Vater behauptet von sich, „kein schlechterer Patriot“ zu sein als der Sohn – der sich vielfach in den studentischen Verbindungen in den 1840ern engagierte –, doch er weist zugleich auf die positive Seite, auf zu lobende Leistungen Napoleons hin. Denn durch den französischen Herrscher wurde „das heilige römische Reich“, das „aus tausend Lappen und Läppchen zusammengesetzt“ war, beseitigt, indem durch die Mediatisierung weniger, aber größere deutsche Staaten entstanden. Aus diesem Grunde bewahrt der Vater Kußmaul „Napoleon ein dankbares Andenken“.

‹24› Diese differenzierte Meinung eines Deutschen von Napoleon eröffnet die Frage, inwiefern Napoleon durch sein Wirken und Schaffen nun zu einem nationalen Identitätsbewusstsein der Deutschen beigetragen hat, auch wenn dies nicht in seiner Absicht gelegen hat. Dadurch, dass der sogenannte ‚Flickenteppich‘ durch Napoleons Neuordnung in seiner Vielfalt verringert wurde, und durch den Code civil in den meisten von ihm besetzten oder beeinflussten deutschen Gebieten (linksrheinische und nordwestdeutsche Gebiete, einige Rheinbundstaaten) eine größtenteils einheitliche Gesetzgebung eingeführt wurde, macht deutlich, dass Bonaparte bereits mit seinen eingebrachten Veränderungen bereits während seiner Herrschaft Weichen für eine Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen stellte, ohne diese anzustreben. Damit kann nicht erst der „vereinte Kampf“ gegen die napoleonische Fremdherrschaft in den ‚Befreiungskriegen‘ als Auslöser oder Beginn eines nationalen Gefühls gesehen werden. Ferner wurden durch Napoleons Wirken und dessen Erneuerungen doch erst die Reformen in Preußen angestoßen, die zu einem Widerstand gegen die Franzosen verhelfen sollten.

‹25› Vergleicht man nun die beiden Quellen miteinander, fällt auf, dass der Vater Adolf Kußmauls eine differenziertere Meinung von Napoleon an den Tag legt, die sich durch die positive Konnotation von der ersten Quelle unterscheidet. Während Graf Sayn-Wittgenstein im Zusammenhang mit den Franzosen in den deutschen Gebieten von „übermüthigen Fremdlingen“, von „vielfährigen Leiden“ der Deutschen und dem französischen „Joche“ spricht, hat der Badener Philipp Jakob Kußmaul trotz seines bekundeten Patriotismus ein positives Andenken an Napoleon.

‹26› Dieser Unterschied soll verdeutlichen, dass man von keiner einheitlichen Ablehnung Napoleons sowie einheitlichen Zustimmung zu den ‚Befreiungskriegen‘ sprechen darf, weil an dieser Stelle nicht verallgemeinert, sondern zwischen den verschiedenen deutschen Fürstenstaaten und ihren Erfahrungen während der französischen Besatzung unterschieden werden muss. Auch wenn man von einem allgemein wachsenden Missmut gegenüber der französischen Fremdherrschaft sprechen kann, so muss man doch auf die unterschiedlichen Stellungen der linksrheinischen Gebiete, des Rheinbunds (z.B. Kgr. Westfalen) und Preußens Napoleon bzw. Frankreich gegenüber hinweisen. Gerade die Mediatisierung und Verfassungsgebung in den linksrheinischen Gebieten und im Rheinbund lässt eine positivere Haltung gegenüber Napoleon vermuten, als es beim preußischen Staat der Fall gewesen sein dürfte.

‹27› Im Hinblick auf das Problemziel wird mit dieser Quellenarbeit eine kritische Betrachtung und Multiperspektivität angestrebt. Zwar kann man zur Zeit Napoleons und der ‚Befreiungskriege‘ von einer beginnenden Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen sprechen, da sich patriotische Bewegungen bildeten. Doch zum einen darf man nicht jede Quelle/Schrift als patriotisch und nach einem Nationalstaat strebend betrachten, weil andere Gründe dabei von höherer Bedeutung sein könnten. Zum anderen muss unterschieden werden, auf welche Weise sich das Nationalbewusstsein in den verschiedenen Gebieten Deutschlands in Bezug auf Napoleon und die Befreiungskriege äußerte. Denn während in Preußen die Vorbehalte gegenüber den Franzosen vorherrschten und man die Herrschaft Napoleons vom deutschen Boden zurückdrängen wollte, so mag die Bewertung Napoleons vielerorts – z.B. im Baden des Rheinbunds – eine andere gewesen sein. Dort war man sich auch der positiven Errungenschaften durch Napoleon bewusst und für diese dankbar. Gerade die durch Napoleons Schaffen gesäten Freiheitsgedanken, die er vielerorts ungewollt erweckte, wendeten sich dann womöglich letzten Endes gegen ihn. Diese differenzierte Erkenntnis steht wiederum in Verbindung mit dem Aspekt des Reihenrichtziels: „[…]zwischen Kooperation und Widerstand“.

Hausaufgabe

‹28› Im Hinblick auf den der problemorientierten Stunde folgenden Unterricht, der sich der Thematisierung des Wiener Kongresses und den dort befassten Beschlüssen widmen wird, soll eine Hausaufgabe formuliert werden, die den Stoff dieser geplanten, problemorientierten Stunde aufgreift, aber zugleich zum nächsten Thema überleitet. Die Hausaufgabe lautet, Stellung zu der Aussage „Napoleon wurde zum Geburtshelfer der deutschen Nation“35) zu beziehen, wobei die differenzierten Gedankengänge aus der problemorientierten Unterrichtsstunde im Hinblick auf die Beschlüsse des Wiener Kongresses ebenfalls in die Reflexion einfließen sollen.

Methodische Reflexion

‹29› Für den ersten Lernschritt bei der Einstiegssequenz wurde der stille Impuls in Form eines Zitates auf Overheadfolie gewählt. Dieser schließt passend an die vorbereitende Hausaufgabe an, deshalb sollen die Schüler in einem gelenkten Unterrichtsgespräch dazu ermuntert werden, sich vor dem Hintergrund des zu Hause bearbeiteten Textes sowie des angeeigneten Wissens aus den vorangegangenen Stunden selbstständig zu äußern und ihre Gedanken vorzubringen.36)

‹30› In der anschließenden Erarbeitungsphase wurde die Sozialform der Gruppenarbeit gewählt, damit der Gedankenaustausch gewährleistet ist. Da die Multiperspektivität bei der Erarbeitung von Quellen von großer Bedeutung ist und auch eine wichtige Rolle für die an dieser Stelle geplanten Unterrichtsstunde spielt, eignet sich die gemeinsame Arbeit in Gruppen für die Beantwortung bzw. Lösung der auf den Arbeitsblättern gestellten Fragen und Aufgaben.37) Dabei sollen idealerweise vier Gruppen gebildet werden, die jeweils beide Quellen bekommen, damit alle Mitglieder der Lerngruppe mit dem Material vertraut sind. Zwei der Gruppen erhalten den Auftrag sich primär mit mit M2 auseinanderzusetzen, die beiden anderen mit M3.

‹31› Bei der anschließenden Auswertung sollen in einem gelenkten Unterrichtsgespräch die Ergebnisse der Gruppen vorgetragen werden. Pro Quelle übernimmt jeweils eine Gruppe die Vorstellung, während die zweite Bearbeitungsgruppe mit weiterführenden, anderen Gedanken die Sicherung kontrollieren und ergänzen soll. Währenddessen wird parallel dazu die Vorlage zum Tafelbild in Form einer Tabelle erstellt, welches begleitend zu den Fragen und orientierend am Problemziel als Visualisierung der thematisierten Punkte dienen soll.38)

‹32› Nach der Notierung der Gedanken bzw. Ergebnisse soll eine abschließende Diskussion das Problemziel nochmals vertiefend, differenzierend und multiperspektivisch thematisieren. Insgesamt ist es gerade im Hinblick auf den problemorientierten Unterricht wichtig, dass die SchülerInnen ins Gespräch miteinander treten (GA, gUg, D), um dadurch eigenständiges Reflektieren und Einbringen von Meinungen zu üben und damit die bei der Quellenarbeit zu trainierenden Fähigkeiten auch in der Kommunikation praktizieren: kritisches, differenziertes, multiperspektivisches Reflektieren.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

Literatur

  • Akaltin, Ferdi: Die Befreiungskriege im Geschichtsbild der Deutschen im 19. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1997, zugl. Diss. Freiburg 1996.
  • Borries, Bodo von: Alters- und Schulstufendifferenzierung. In: Mayer, Ulrich / Pandel, Hans-Jürgen / Schneider, Gerhard (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2004, S. 113–134.
  • Dann, Otto: Deutsche Nationsbildung im Zeichen französischer Herausforderung. In: Dann, Otto (Hrsg.): Die deutsche Nation. Geschichte – Probleme – Perspektiven. Vierow bei Greifswald 1994.
  • Emer, Wolfgang: Projektarbeit. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 544–557.
  • Jahn, Günther: Friedrich Ludwig Jahn. Volkserzieher und Vorkämpfer für Deutschlands Einigung 1778–1852. Göttingen, Zürich 1992.
  • Lehrplan Gemeinschaftskunde: Hrsg. vom Rheinland-Pfälzischen Kultusministerium. In: lehrplaene.bildung-rp.de (Bildungsserver).
  • Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt a.M., 12. Aufl. 2009.
  • Naumann, Günter: Deutsche Geschichte. Von 1806 bis heute. Wiesbaden 2008.
  • Planert, Ute: Wann beginnt der »moderne« deutsche Nationalismus? Plädoyer für eine nationale Sattelzeit. In: Echternkamp, Jörg / Müller, Sven Oliver (Hrsg.): Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760–1960. München 2002.
  • Rogosch, Detlef: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und die Entstehung des deutschen Nationalgefühls. In: Timmermann, Heiner (Hrsg.): Die Entstehung der Nationalbewegung in Europa 1750–1849. Berlin 1993.
  • Rüsen, Jörn: Europäisches Geschichtsbewußtsein als Herausforderung an die Geschichtsdidaktik. In: Demantowsky, Marko / Schönemann, Bernd (Hrsg.): Neue geschichtsdidaktische Positionen. Bochum 2002, S. 57-64.
  • Sauer, Michael: Verarbeitung, Dokumentation und Präsentation von Lernergebnissen. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 634–648.
  • Schneider, Gerhard: Einstiege. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 595–618.
  • Schneider, Gerhard: Transfer. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 649–674.
  • Schneider, Gerhard: Transfer. Ein Versuch über das Anwenden und Behalten von Geschichtswissen. Schwallbach/Ts. 2009.
  • Voit, Hartmut: Partnerarbeit. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 481–496.
  • Uffelmann, Uwe/Seidenfuß, Manfred: Gruppenarbeit. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 497–514.
  • Uffelmann,
    Uwe
    : Problemorientierung. In: Handbuch Methoden im
    Geschichtsunterricht, S. 78–90.

Anhang

M1 Einführungstext: Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen zur Zeit Napoleons

Das Umfeld der sogenannten ‚Befreiungskriege‘ war nicht nur geprägt von den Auseinandersetzungen zwischen den großen Mächten – dem Napoleonischen Frankreich sowie Preußen, Österreich und Russland – sondern brachte auch kulturelle und soziale Entwicklungen mit sich. So kam es neben der von den bürgerlichen Intellektuellen mit Nachdruck betriebenen und beförderten gezielten Nationsbildung auch zu ‚Volksaufständen‘. Diese Aufstände waren in ihrer Größe verschiedene Ausschreitungen gegen die Vertreter der französischen Verwaltung. Eine solche Aufstandsserie fand beispielsweise im Jahre 1813 in den norddeutschen Städten wie Hamburg und Lübeck statt, in denen sich breite Bevölkerungsschichten, die nicht zu einer publizistischen Äußerung ihrer Meinungen imstande waren, einbringen konnten. Die ‚patriotischen‘1 Aufstandsbewegungen agierten jedoch nicht immer autonom2. Oftmals, wie beispielsweise im Süden des Reiches und der Schweiz, im Bezug zu Metternichs Österreich, waren sie in ihrer Planung und Ausführung in die Zielsetzungen der großen Regierungen eingebunden, die unkalkulierbare und damit unkontrollierbare Aufstände unterbinden und für ihre eigene Politik nutzbar machen wollten.

Neben bewaffnetem Aufbegehren findet sich die im Dienst der Nationsbildung stehende nationale Publizistik. Hier verbanden sich kleinstaatlicher Patriotismus mit einem deutschen Nationalismus und dem Traum vom geeinten Nationalstaat. In diesem Umfeld der publizistischen ‚Nationalerziehung‘ traten bürgerliche Intellektuelle wie Ernst Moritz Arndt mit seinem Lied Des Deutschen Vaterland und der Philosoph Johann Gottlieb Fichte mit seinen an breitere Bevölkerungsschichten gerichteten Reden an die deutsche Nation auf. Auch die Schriften des Kriegslyrikers Theodor Körner strahlten, aufgrund seiner aktiven Mitgliedschaft im Lützower Freikorps3, eine besondere Glaubwürdigkeit auf die Zeitgenossen aus. Neben der patriotischen Schriftstellerei entstand ein stetig wachsendes patriotisches Vereinswesen – erstmals auch mit mehr und weniger eigenständigen Frauenvereinen – und die studentischen Burschenschaften. In diesem Umfeld patriotisch-politischer Zusammenschlüsse verschiedenster Art begründete der bekannte Turnvater Jahn4 – neben dem Deutschen Bund – seine Turnerbewegung zur ‚körperlich-militärischen Ertüchtigung der Jugend im patriotischen Geiste‘. Auch der von Offizieren, Adeligen sowie Literaten und Akademikern gegründete Tugendbund hatte sich eine Unterstützung und Förderung der nationalen Politik auf die Fahnen geschrieben.

Doch nicht nur die politischen Literaten der verschiedenen deutschen Kleinstaaten sprachen nun ganz bewusst das ‚Volk‘ (oder die deutschen Völker) als politische und politisch aktive Subjekte an, wenn auch unter den ihnen eigenen politischen Zielsetzungen. Auch die politisch Handelnden der großen Regierungen richteten sich – wie 1813 in der Proklamation5 von Kalisch6 – neben den Fürsten auch an die verschiedenen Völker Deutschlands. An nationalpatriotische Literatur und kämpferische Aufrufe anknüpfend, wurden mit werbenden Flugblättern neben Studenten und Bürgern auch Handwerker und Landarbeiter zum ‚Befreiungskampf‘ und der Befreiung des Vaterlandes aufgerufen sowie durch Bildung von Freiwilligenverbänden in die reguläre Armee integriert und damit kontrolliert.

  1. patriotisch – das Vaterland liebend
  2. autonom – sich selbst Gesetze gebend, eigenständig
  3. Freiwilligenverband in der preußischen Armee
  4. Friedrich Ludwig Jahn
  5. öffentliche Bekanntmachung
  6. Stadt im heutigen Polen
Aufgabenstellung
  1. Lies den Text sorgfältig und kennzeichne dir unbekannte oder
    unverständliche Begriffe.
  2. Schlage die dir unverständlichen sowie die fett gedruckten
    Begriffe in einem Lexikon, wie dem Brockhaus der Schulbibliothek oder
    Wikipedia*, oder dem Schulbuch nach.

* Werden auf dynamische Weiterentwicklung angelegte Onlinelexika wie
Wikipedia genutzt, sollte sich die Lehrkraft im Vorfeld der Stunde
vergewissert haben, dass die einschlägigen Lemmata korrekte
sowie verständliche Artikel liefern.

Lizenz des Einführungstextes: CC0 1.0 Universal (CC0 1.0); creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/

M2 Aufruf Ludwig Adolph Peter Graf von Sayn-Wittgenstein-Berleburgs

(Generalfeldmarschall der russischen Armee, kämpfte u.a. in der Hauptarmee der russischen und preußischen Verbündeten gegen Napoleon)

Liebe Deutsche Jünglinge und Männer! Die Ihr nicht zu den Unterthanen Sr. Majestät des Königs von Preußen Euch zählt, habt Ihr wohl gehört und gelesen, wie herrlich die wachern Preußen sich zusammennehmen? Wie sie herzuströmen von allen Seiten? Viele tausend Freiwillige aus allen Ständen, weil in diesen bösen Zeiten es nur Einen Ehrenstand geben kann, den der Freiheit! Wie wird Euch zu Muthe, wenn Ihr das hört und les’t, Ihr Männer aus allen Gegenden Deutschlands, die sich noch bücken müssen vor den übermüthigen Fremdlingen? Nicht wahr die Herzen klopfen Euch? und Ihr möchtet auch Theil nehmen an der Befreiung des Vaterlandes, und an der Rache für so vielfährige Leiden? Denn wo ist ein Winkel in Deutschland, wo nicht geseufzt worden wäre? Und wo lebt ein Deutscher, der nicht irgend einen bittern Verlust zu beklagen, zu beweinen und zu rächen hätte? – Wohlan! Die Zeit des Klagens und Weinens ist vorüber, die Zeit der Rache ist gekommen! Gott war mit den Russen! Gott wird mit Euch seyn! Ich biete Euch meine Hand! Im Namen meines großen Monarchen lade ich Euch brüderlich ein, und thue Euch zu wissen, daß, auf Seinen Befehl und auf Seine Kosten, hier in Berlin und in den Hanseestädten mehrere deutsche Legionen errichtet werden sollen. Kommt! Kommt! Ihr mögt Euch nennen wie Ihr wollt, Westphäler oder Sachsen, Bayern oder Hessen, alles gleich viel! Wenn ihr nur Deutsche seyd und deutsche Herzen mitbringt. Kommt Ihr mit den Waffen schon ausgerüstet, desto besser! Kommt Ihr aber auch ohne Waffen, so wird mein Kaiser sie Euch liefern, und Brod und Geld, und alles, was Ihr bedürft, und obendrein sein kaiserliches Wort, daß Ihr zu nichts weiter gebraucht werden sollt, als zur Befreiung Eures Vaterlandes Jeder von Euch, sobald er unter die Russisch-Deutschen Fahnen getreten, soll nur dahin geschickt werden, wo er geboren wurde, und wo seine Landsleute noch unter dem Joche seufzen. Denkt Euch, wie sie Euch empfangen werden, wenn ihre eigenen Brüder ihnen die Freiheit bringen! Ei! So laßt Euch anfeuern durch diesen herrlichen Lohn, und durch das edle Beispiel der Preußen! Eilt! Um mit in den heiligen Krieg zu ziehen, denn ich sage Euch: wir werden siegen! Kommt und meldet Euch, in Berlin sowohl als in den Hanseestädten, bei den Commandanten der genannten Orte, die Euch als liebe Waffenbrüder empfangen und versammeln werden. Auf dem Felde der Ehre will ich selbst Euch willkommen heißen und mit Euch für Euch fechten, bis wir deutsche Freiheit mit Gottes Hülfe errungen haben! – Gegeben in meinem Hauptquartier zu Berlin, den 11. (23.) März 1813 Graf von Wittgenstein

Aufgabenstellung
  1. Ordnen Sie die Quelle in den historischen Zusammenhang ein.
  2. Stellen Sie dar und begründe, wen und wozu Graf Wittgenstein in seinem Aufruf auffordert.
  3. Stellen Sie dar und begründe, welches Ziel mit dem Aufruf verfolgt wird.
  4. Erläuteren Sie inwiefern bei diesem Aufruf der nationale Charakter der antinapoleonischen Bewegung zum Ausdruck kommt.
  5. Diskutieren Sie inwieweit man die „Befreiungskriege“ gegen Napoleon als Ausdruck zur Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstsein betrachten kann.
Quellennachweise

Zitiert nach: Ludwig Adolf Peter zu Sayn-Wittgenstein: Aufruf Ludwig Adolph Peter Graf von Sayn-Wittgenstein-Berleburgs. In: Ludwig Adolf Peter zu Sayn-Wittgenstein: Napoleons edle Handlungen gegen den Rheinbund, den Papst, und seine wohlwollende Gesinnungen gegen die Deutschen, o. A. 1813, S. 14–16.

Online: Einsehbar via http://books.google.de/books?id=AqNDAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false (Zugriff 02.04.2012).

Print: Ludwig Adolf Peter zu Sayn-Wittgenstein: Aufruf Ludwig Adolph Peter Graf von Sayn-Wittgenstein-Berleburgs. In: Ludwig Adolf Peter zu Sayn-Wittgenstein: Napoleons edle Handlungen gegen den Rheinbund, den Papst, und seine wohlwollende Gesinnungen gegen die Deutschen, o. A. 1813, S. 14–16.

Lizenz: Public Domain; Urheberrecht ausgelaufen.

M3 Der Arzt Adolf Kußmaul, geb. 1822, berichtet in seinen Jugenderinnerungen 1889, was ihm sein Vater einstmals vorgehalten hat

Wie gut ist es doch, dass du nicht vor 50 oder 60 Jahren zur Welt gekommen bist! Hättest du mit eigenen Augen das unglaubliche politische und wirtschaftliche Elend gesehen, worin wir damals steckten, so würdest du über Napoleon anders urteilen. Das heilige römische Reich war aus tausend Lappen und Läppchen zusammengesetzt. Hier saßen, hohl aufgeblasen im stolzen Gefühl ihrer Reichsunmittelbarkeit, aber in jämmerlich zerlumpten Gewändern, die Glieder und Stände des Reiches durcheinander: Herzöge und Fürsten, Grafen und Freiherren […] Bischöfe und Äbte […] freie Städte und Städtchen […] Aus dem politischen Elend floss das wirtschaftliche. Jedes Gebiet hielt fest an seinen Schlagbäumen […] und legte Verkehr, Handel und Industrie des Nachbarn lahm […] Ich bin kein schlechterer Patriot als du, aber wir Alten bewahren Napoleon ein dankbares Andenken.

Aufgabenstellung
  1. Stellen Sie dar und begründe wie Adolf von Kußmaul im Rückblick die Fremdherrschaft Napoleons bewertet.
  2. Erläutere Sie: Inwiefern hat Napoleon gerade durch sein Wirken und Schaffen zu einer Entwicklung des nationalen Identitätsbewusstseins der Deutschen beigetragen?
  3. Vergleichen Sie die Bewertungen der napoleonischen Herrschaft in den beiden Quellen miteinander.
  4. Diskutieren Sie die Gründe für die unterschiedliche Bewertung.
Quellennachweise

Zitiert nach: Adolf Kußmaul: Jugenderinnerungen eines alten Arztes. Stuttgart 1899, S.88–89.

Online: Online einsehbar via Internet-Archive: http://archive.org/stream/jugenderinnerun00kussgoog#page/n95/mode/2up sowie http://archive.org/details/jugenderinnerun00kussgoog und Zeno.org http://www.zeno.org/Naturwissenschaften/M/Kussmaul,+Adolf (Zugriff jeweils 02.04.2012).

Print: Adolf Kußmaul: Jugenderinnerungen eines alten Arztes. Stuttgart 1899, S.88–89.

Lizenz: Public Domain; Urheberrecht erloschen.

Fußnoten

  1. Die Arbeitsergebnisse enthälten bewusst Brückenschläge zur didaktischen Reflexion, um auch dem Leser einen schnellen Einstieg in hier dargebotene Stundenplanung zu ermöglichen. »
  2. Siehe zu den folgenden Zitaten Anhang (M2) oder Aufruf Ludwig Adolph Peter Graf von Sayn-Wittgenstein-Berleburgs. In: Ludwig Adolph Peter zu Sayn-Wittgenstein: Napoleons edle Handlungen gegen den Rheinbund, den Papst, und seine wohlwollende Gesinnungen gegen die Deutschen, o. A. 1813, S. 14–16. »
  3. Zu Binnendifferenzierung und dem „[e]xtrem gestreute[n] Geschichtsverständnis als Erfahrungstatsache“(von Borries, S. 116) siehe Bodo von Borries, Alters- und Schulstufendifferenzierung. In: Mayer, Pandel, Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. S. 113–134. »
  4. Uffelmann, Problemorientierung. In: Mayer, Pandel, Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. S. 82. »
  5. Uffelmann, Problemorientierung, S. 82. »
  6. Zur weiteren Problematik des initiierten Ablaufs der Problemfindung und zur Kenntnisnahme einer beispielhaften Beschreibung einer Problemfindung an Hand des Stundenthemas ‚Einung als Prinzip der deutschen Herrschaftsordnung‘ siehe Uffelmann, Problemorientierung, S. 82–84. Zu problematisierenden Einstiegen siehe auch insbesondere Schneider, Einstiege, S. 600–604. »
  7. Die Unterrichtsreihe kann mit dem allgemeinen Lehrziel des Lehrplans Gemeinschaftskunde für die Sek. II, dass die Schüler die „weit reichende Bedeutung der Französischen Revolution kennen und ihre Folgen erörtern“ (Lehrplan Gemeinschaftskunde, S. 19) können sollen und Rahmen der thematischen Vertiefung von „Verfassungsentwicklung und Demokratiebewegung in Deutschland“ (Lehrplan Gemeinschaftskunde, S. 58) begründet werden. »
  8. Dann, Otto, Deutsche Nationsbildung im Zeichen französischer Herausforderung, in: Dann, Otto (Hrsg.): Die deutsche Nation. Geschichte – Probleme – Perspektiven. Vierow bei Greifswald 1994, S.15–17. »
  9. Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts. Frankfurt a.M., 12. Aufl. 2009, S. 93f. »
  10. Naumann, Günther: Deutsche Geschichte. Von 1806 bis heute. Wiesbaden 2008. »
  11. Mann, Geschichte. »
  12. Akaltin, Ferdi: Die Befreiungskriege im Geschichtsbild der Deutschen im 19. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1997, zugl. Diss. Freiburg 1996. »
  13. Dann, Deutsche Nationsbildung. »
  14. Rogosch, Detlef: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und die Entstehung des deutschen Nationalgefühls, in: Timmermann, Heiner (Hrsg.): Die Entstehung der Nationalbewegung in Europa 1750-1849. Berlin 1993. »
  15. Planert, Ute: Wann beginnt der »moderne« deutsche Nationalismus? Plädoyer für eine nationale Sattelzeit, in: Echternkamp, Jörg; Müller, Sven Oliver (Hgg.): Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760-1960. München 2002. »
  16. Dann, S. 18. »
  17. Vgl. Planert, S. 56ff. »
  18. Rogasch, S. 28. »
  19. Vgl. Planert, S. 55. »
  20. Planert, S. 54. »
  21. Vgl. Planert S. 55ff. »
  22. Vgl. Akaltin, S. 34ff.; Dann, S. 14/18. »
  23. Dann, S. 18. »
  24. Vgl. Akaltin S. 35ff. »
  25. Dann, S. 20. »
  26. Dann, S. 20. »
  27. Vgl. zur hier angesprochenen Konstruktion einer „[e]thnozentrischen Eindeutigkeit einer historischen Orientierung“ Jörn Rüsen: Europäisches Geschichtsbewußtsein als Herausforderung an die Geschichtsdidaktik. In: Marko Demantowsky / Bernd Schönemann (Hrsg.): Neue geschichtsdidaktische Positionen. Bochum 2002, S. 57-64, insbesondere S. 61 letzter Absatz bis S. 62. »
  28. Vgl. Rüsen, der auf S. 61 pointiert schreibt: „[Ethnozentrische Schließungstendenzen] liegen in der Logik kultureller Zugehörigkeit durch Abgrenzung beschlossen und brechen immer wieder mental, kulturell, politisch, auch wirtschaftlich durch – ein ständiger Stimulus zu ihrer Zivilisierung. Dieser Stimulus arbeitet sich an den Grenzen der Zugehörigkeit und der Bestimmung des Nichtzugehörigen ab.“ »
  29. Vgl. Rüsen, hier insbesondere die Ausführungen zur generellen Offenheit des kommunikativen Modells ‚Europa‘ auf den Seiten 60–62 und das mögliche Zusammenwirken von Diversität und Gemeinsamkeit sowie der Betonung des „prozessual[en] und dynamisch[en]“(S. 61) Charakters bei der Konstruktion von Identität. Auch kann mit der Betonung und der Auseinandersetzung mit den ‚regionalen Alternativen‘ des ‚Flickenteppischs‘, wie Rüsen S. 61 in Bezug auf Europa schreibt, „kulturelle Vielfalt als Reichtum eines Landes oder einer Nation empfunden [werden].“ Diese „Anerkennungsleistungen von Differenz“ können dazu beitragen das jeweilige Geschichtsbewusstsein bzw. die jeweiligen Geschichtsbewusstseine der SchülerInnen „nicht in den Grenzen ethnozentrischer Schließung gegenüber anderen“ zu halten. Auf den Punkt bringt er die hiermit einhergehenden Entwicklungsmöglichkeiten, wenn er schreibt, dass ein „Verlust an ethnozentrischer Eindeutigkeit [.] einen Gewinn an [bewusst wahr- und angenommener Anm. d. A.] innerer Vielfalt mit entsprechend wachsenden Orientierungschancen“ bietet. »
  30. Jahn, Günther: Friedrich Ludwig Jahn. Volkserzieher und Vorkämpfer für Deutschlands Einigung 1778-1852. Göttingen/Zürich 1992. »
  31. Vgl. Akaltin, S. 36. »
  32. Zu Transfer im Geschichtsunterricht siehe Schneider, Gerhard: Transfer. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 649–674, sowie Schneider, Gerhard: Transfer. Ein Versuch über das Anwenden und Behalten von Geschichtswissen. Schwallbach/Ts. 2009. »
  33. Siehe zu den folgenden Zitaten Anhang oder Aufruf Ludwig Adolph Peter Graf von Sayn-Wittgenstein-Berleburgs. In: Ludwig Adolph Peter zu Sayn-Wittgenstein: Napoleons edle Handlungen gegen den Rheinbund, den Papst, und seine wohlwollende Gesinnungen gegen die Deutschen, o. A. 1813, S. 14–16. »
  34. Siehe zu den folgenden Zitaten Anhang oder Kußmaul, Adolf: Jugenderinnerungen eines alten Arztes. Stuttgart 1899, S. 88–89. »
  35. Verkürzt, vgl. Ute Planert in der ZDF-Reihe „Die Deutschen“, Folge 7, 42. Min.: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/#/beitrag/video/619482/Folge-7:-Napoleon-und-die-Deutschen<br /> (Zugriff 03.04.2012). »
  36. Siehe Schneider, Gerhard: Einstiege. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 595–618, sowie im Besonderen die Erläuterungen zu problematisierenden Einstiegen auf S. 600–604 und Animative Einstiege auf S. 605–608. »
  37. Zu Partner- und Gruppenarbeit siehe Voit, Hartmut: Partnerarbeit. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 481–496, sowie Uffelmann, Uwe / Seidenfuß, Manfred: Gruppenarbeit. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 497–514.  »
  38. Zu Möglichkeiten der Präsentation von Lern- und Arbeitsergebnissen der SchülerInnen (auch über den Schulalltag hinaus) siehe Sauer, Verarbeitung, Dokumentation und Präsentation von Lernergebnissen. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 634–648. So ließen sich die Ergebnisse einer Unterrichtsreihe bspw. während einer Projektwoche, auch fächerübergreifend, anschaulich darstellen und einer größeren Öffentlichkeit vermitteln. Bei höheren Klassen wäre auch, falls möglich, an eine Aufarbeitung und In-Bezug-Setzung der spezifischen Situation der Heimatgemeinde im Kontext der Nationalbewegungen und der ‚Befreiungskriege‘ und eine anschließende öffentliche Präsentation der Ergebnisse zu denken. Siehe hierzu Emmer, Wolfgang: Projektarbeit, In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, S. 544–557, jedoch mit Hauptaugenmerk auf S. 547–549 und 553f. »
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Natalie Fridrich ist Studentin der Geschichte und der Germanistik an der Universität Mainz im Studiengang Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien.

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Natalie Fridrich: Unterrichtsentwurf: Die Entwicklung eines nationalen Identitätsbewusstseins in den von Napoleon besetzten Ländern, in: Skriptum 2 (2012), Nr. 1, URN: urn:nbn:de:0289-2012050367, Abs. XY [Datum des Zugriffes].