Rezension: Kampfzeit unter französischen Bajonetten. Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik – Markus Würz

rezensiert von Katharina Wurst

‹1› Die „Kampfzeit“ – die Entstehung und Entwicklung sowie der Aufstieg der NSDAP – verlief in den einzelnen Gebieten des Deutschen Reichs nicht einheitlich. Markus Würz wählte für seine Dissertation die speziellen und unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Länder, Regionen, Städte etc. als Anknüpfungspunkt und stellte dabei fest, dass gerade die Entwicklung der NSDAP in den von den Alliierten besetzten Gebieten am Rhein bislang nur unzureichend in der Forschung Beachtung gefunden hat. Angesichts der zeitlich bedingten Rahmenbedingungen liegt zu Recht der Schluss nahe, dass sich die NSDAP zum Teil anders formiert haben muss, als in den unbesetzten Gebieten.1)

‹2› An diesem Punkt setzt die Studie von Markus Würz an und untersucht dabei den Raum Rheinhessen. Die Wahl fiel aus mehreren Gründen auf diese Region: Unter anderem, weil es zu den am längsten besetzten Gebieten gehörte, unter der Besatzung der Franzosen und damit dem „Erbfeind“ stand und deshalb einen besonderen psychologischen Hintergrund hat. Darüber hinaus spielten auch sozio-ökonomische Faktoren eine entscheidende Rolle bei der geographischen Wahl: Rheinhessen war zum einen ein konfessionell gemischtes Gebiet und zum anderen sowohl von ländlichem Raum als auch von industriellen Zentren geprägt.2) Die Ausweitung des Untersuchungszeitraums über das Ende der eigentlichen französischen Besatzung im Jahr 1930 hinaus bis zur Machtübernahme Hitlers 1933 bietet die direkte Möglichkeit, die Entwicklung der Partei unter veränderten Bedingungen zu erkennen.3) Insgesamt setzte sich Würz nicht nur zum Ziel, ein deutlicheres und detailreicheres Bild vom Auf- und Ausbau der NSDAP zu zeichnen, sondern auch den „Interaktions- und Erfahrungsraum der Menschen in den besetzten Gebieten […] und andere lebensweltliche Problemkonstellationen“4) aufzuzeigen.

‹3› Durch die Zerstörungen während des Krieges ist die Quellenlage sehr uneinheitlich. Als „elementare[n] Quellenbestand“5) für das Verhältnis zwischen der Besatzungsmacht und den Nationalsozialisten führt Würz die Akten der Hohen Interalliierten Rheinlandkommission und des Hohen Französischen Kommissars für die Rheinprovinz an. Weiter bedient er sich Unterlagen der staatlichen Exekutivorgane und der Justizbehörden, die er aus kommunalen, regionalen und überregionalen Archiven zusammentragen konnte, sowie personenbezogenen Quellen. Fragmentarischer und damit problematischer gestaltete sich die Überlieferungslage für die staatlichen Verwaltungsebenen, für die NS-Parteistellen und für die rheinhessischen NSDAP-Ortsgruppen. Zusätzlich wertete Würz zeitgenössische lokale wie regionale Tages- und Wochenzeitungen aus.6)

‹4› Um die Entwicklung des Nationalsozialismus in Rheinhessen besser verstehen und einordnen zu können, stellt Würz zu Beginn seiner Untersuchung die Rahmenbedingungen der Region Rheinhessen in der Zeit von 1918 bis 1933 dar. Dabei geht er auf die Französische Besatzung und deren Auswirkungen auf die Region und auf die Rheinstaatbestrebungen ein. Zusätzlich erläutert er in einem wichtigen Exkurs das Verhältnis zwischen Besatzungsmacht und nationalistischen Organisationen.7)

‹5› Der Hauptteil beginnt mit einer Analyse der ursächlichen Bewegungen und Vorläufer des Nationalsozialismus in Rheinhessen in der Phase von 1918 bis 1925. Die Leistung dieses Kapitels liegt in der Herausstellung der verschiedenen völkischen Bewegungen, ihren Auffassungen, Zielen und Persönlichkeiten.

‹6› Das darauffolgende Kapitel behandelt die Gründung und Entwicklung der nationalsozialistischen Parteiorganisation bis 1933. Hierzu unterteilt Würz den Zeitraum in unterschiedliche Phasen, die wiederum geographisch nach ihrem Wirken in den Städten Mainz und Worms sowie auf dem Land untersucht werden: Die Jahre 1922–1925 markieren die Gründung und die Anfangszeit der NSDAP, der Zeitraum 1925 bis 1930 umgrenzt den Aus- und Aufbau der Partei und die Jahre 1930 bis 1933 zeichnen die Parteiorganisation nach dem Abzug der Franzosen bis zur Machtübernahme nach. Hierbei sind gerade die ersten beiden Unterkapitel von detailreicher und dichter Quellenarbeit geprägt, die einerseits deutlich die Unterschiede zwischen Worms und Mainz herausstellen, aber auch auf die Besonderheiten der ländlichen Gebiete eingehen. Andererseits kann Würz damit auch deutlich auf das Zusammenspiel zwischen französischer Besatzung und der NSDAP eingehen.8) Eine seiner Hauptthesen – und vermutlich die wichtigste These –, ist dabei, dass die Restriktionen und Repressionen der Besatzungsmacht „eine Motivation darstellen konnte[n], sich für den Nationalsozialismus zu engagieren.“9) Diese Schlussfolgerung zeigt Würz an zahlreichen Beispielen auf.

‹7› Das dritte Unterkapitel Auf dem Weg zur Massenbewegung: Die NS-Parteiorganisation 1930-1933 bereitet besonderes Lesevergnügen: Dies liegt zum einen wohl an der spannungsgeladenen Zeit, als auch an dem thematischen Zugriff, den Würz wählt. Über die Untersuchung der Parteiorganisation hinaus, geht er zudem auf die Durchdringung des rheinhessischen Landes durch den Nationalsozialismus sowie auf die Auseinandersetzungen desselbigen mit der katholischen Kirche ein.10)

‹8› In ihrer dichten und detailreichen Analyse zum Nationalsozialismus im Spannungsfeld mit der französischen Besatzung im Raum Rheinhessen ist die Studie von Markus Würz einzigartig und kann aufgrund dessen auch überzeugen. Das Ziel, das sich Würz gesetzt hat – den Aufstieg in einer Region unter fremder Besatzung nachzuvollziehen – ist dementsprechend geglückt. Ebenso zahlreich und umfangreich sind die Ergebnisse. Eine wichtige Erkenntnis der Dissertation ist, dass die französische Besatzungspolitik in Rheinhessen nationalsozialistische Aktivitäten begünstigt hat. Dieser Feststellung gilt es aber in weiteren Arbeiten nachzuspüren. Einzige Kritikpunkte bleiben, dass nur in Ansätzen auf die in der Einleitung angekündigte Perspektive der in den besetzten Gebieten lebenden Menschen eingegangen wird und, dass ein Vergleich zu den unbesetzten Gebieten generell ausblieb. Sicher hätte eine solche Erweiterung – hätte man diese ähnlich komplex wie die Untersuchung zu Rheinhessen selbst aufgezogen – den Rahmen der Dissertation, die ja explizit als Regionalstudie angelegt ist, gesprengt. Ein gesondertes Kapitel, das Entwicklungstendenzen in anderen Gebieten skizziert, wäre aber wünschenswert gewesen, um eine abschließende Einordnung in den gesamtdeutschen Zusammenhang vollziehen zu können.

‹9› Für Studenten lässt sich das Werk vor allem dann empfehlen, wenn sie sich spezifisch für nationalsozialistische Tätigkeiten bzw. für die französische Besatzungspolitik in Rheinhessen von 1918 bis 1933 interessieren. Auch wenn an einigen Stellen die hohe Informationsdichte an Beispielen und Quellen für einen ersten Überblick und das generelle Verständnis der Thematik nicht notwendig sind, bleibt die Publikation gut lesbar und besticht – insbesondere in den einleitenden Kapiteln – für Studenten, die sich einen allgemeineren Erkenntnisgewinn erhoffen.

Rezensiert wurde:

Markus Würz: Kampfzeit unter französischen Bajonetten. Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik. Stuttgart 2012 (= Geschichtliche Landeskunde, 70) ISBN 978-3515102889.

Fußnoten

  1. Markus Würz: Kampfzeit unter französischen Bajonetten. Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik, Stuttgart 2012 (= Geschichtliche Landeskunde Band 70), S. 16. »
  2. Würz, S. 21. »
  3. Würz, S. 23. »
  4. Würz, S. 20. »
  5. Würz, S. 29. »
  6. Würz, S. 29–33. »
  7. Würz, S. 35–75. »
  8. Würz, S. 77–166. »
  9. Würz, S. 113. »
  10. Würz, S. 166–235. »
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Autoreninformation

Katharina Wurst erwarb einen B. A. in Geschichte und Neuerer deutscher Literatur an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Derzeit absolviert sie ein Praktikum am DHI Paris und setzt ihr Studium im Studiengang Master of Arts Buchwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz fort.

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Zitationshinweis:

Katharina Wurst: Rezension: Kampfzeit unter französischen Bajonetten. Die NSDAP in Rheinhessen in der Weimarer Republik – Markus Würz, in: Skriptum 3 (2013), Nr. 1 , URN: urn:nbn:de:0289-2013051720, Abs. XY [Datum des Zugriffes].