Seminararbeit: „…wie die Zigeuner“ – Das Feindbild „Zigeuner“ bei Luther

von Miriam Breß



Zusammenfassng

Miriam Breß befasst sich in ihrem Artikel „‚…wie die Zigeuner‘ Das Feindbild ‚Zigeuner‘ bei Luther“ mit der negativen Wahrnehmung von Sinti und Roma und stellt die Frage nach dem Grund für den über Jahrhunderte hinweg und bis heute existierenden Antiziganismus in Europa. Antworten auf diese Frage sucht die Autorin in den Ursprüngen der Ansiedlung: Zu Beginn des 15. Jahrhunderts. In dieser Zeit waren es vor allem die Schriften Martin Luthers, die das Weltbild der Menschen prägten und so Indizien für die Entstehung der zahlreichen Verurteile gegenüber der Minderheit liefern können. Die darin tradierten Vorstellungen von dem „Zigeuner“ werden unter Beachtung theologischer und sozialpsychologischer Hintergründe über Gruppenbildungsprozesse und Ausschlussmechanismen vorgestellt, sodass schließlich die Rolle Martin Luthers für die Entstehung des Feinbildes Zigeuner in der Frühen Neuzeit augenscheinlich wird.

Abstract

In her article „‚…wie die Zigeuner‘ Das Feindbild ‚Zigeuner‘ bei Luther“ Miriam Breß examines the negative Perception of Sinti and Romanies and tries to elicit the reason for the antiziganism that has lasted for centuries and is still existing in Europe today. In order to find answers the author goes back to the onset of Sinti and Romanies settling in Europe: the early 15th century. The greatest influence on the world view of those living in these times were the writings of Martin Luther, which could provide an indication of the origin of the prejudices against this minority. The conceptions of ‘gypsies’ that have been passed on in Luther’s writings are canvassed under the consideration of the theological and social-psychological background of processes of group formation and mechanisms of exclusion. In conclusion, the role of Martin Luther in the formation of the concept of ‘gypsies’ as enemies in the early modern age is clarified.

Résumé

Dans son article „‚…wie die Zigeuner‘ Das Feindbild ‚Zigeuner‘ bei Luther“ Miriam Breß trait la perception plutôt négative en ce qui concerne les Sinti et Roma. Compte tenu de l’antiziganisme, qui après des siècles, existe toujours en Europe d’aujourd’hui, l’auteur pose la question de pourquoi. Elle essaye d’y trouver des réponses en jetant un œil vers le début du XV siècle, époque des premières implantations. À cette époque-là, c’étaient en premier lieu des écrits de Martin Luther qui marquaient la vision du monde. Pour cette raison, c’est peut-être dans ces écrits-même où il faut chercher des indices pour l’origine des nombreux préjugés contre la minorité. Son idée des « tziganes » peut se trouver sur les textes et a influencé l’imagination du peuple. En considération les sciences humaines et sociales, en particulier des mécanismes sociale et psychologiques entre un groupe, Miriam Bress arrive à mettre son rôle capital concernant l’antiziganisme dans les Temps Modernes en évidence.

Einleitung

Über kaum ein Volk wissen die Deutschen so wenig
und zugleich so viel Negatives wie über die Sinti und Roma,
die seit nunmehr fast 600 Jahren unter uns leben.“1) (Wolfgang Wippermann)

‹1› Faul, bettelnd, fahrend, schmarotzend. Die Stereotype gegenüber Sinti und Roma sind bekannt. Selbst seriöse Medien wiederholen sie immer wieder.2) Bei kaum einer anderen Bevölkerungsgruppe sind sich die Deutschen – sogar die Europäer3) – bei der gemeinsamen Abwertung so einig wie bei ihnen. 40,1% der Deutschen haben ein Problem damit, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhalten, 27,7% wollen sie aus der Innenstadt verwiesen wissen und fast die Hälfte aller Befragten (44,2%) ist sich sicher, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen würden.4)Woher aber kommen diese Überzeugungen und Vorstellungen über ‚die Lebensweise‘, ‚die Kriminalität‘ und ‚die Arbeitsscheu‘ etc. ‚der Sinti und Roma‘? Und kann man wirklich – wie man es gerne tut – von einem ‚wahren Kern‘ der Vorurteile sprechen?

‹2› Im Hintergrund dieser Fragen will sich diese Untersuchung damit beschäftigen, welche Vorstellungen und Stereotypen in der Frühen Neuzeit über Sinti5) verbreitet waren, als diese am Beginn des 15. Jahrhunderts in die deutschen Länder gelangten. Europa selbst befand sich zu dieser Zeit im Umbruch. Durch die Erfindung des Buchdrucks kam es zu einer verstärkten gesamtgesellschaftlichen Kommunikation. Da rund ein Drittel der gesamten deutschsprachigen Buchdrucke der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus der Feder von Martin Luther stammen,6) soll hier untersucht werden, inwiefern er von den Sinti sprach und welche Bilder er diesbezüglich prägte. Dabei ist es unabdingbar zuerst einen kurzen Überblick darüber zu geben, welche Vorurteile und Vorstellungen vor Luther über die Sinti verbreitet waren, um dann bestimmen zu können, wie Luther diese aufgegriffen und möglicherweise tradiert hat und welchen Nutzen er davon hatte. Da sich zudem jede Untersuchung zu den Sinti in der Frühen Neuzeit nur auf Quellen aus der Mehrheitsgesellschaft – hier v.a. auf Luther – stützen kann, soll zu allererst die Bedeutung daraus kurz dargestellt werden.

‹3› Theologische und sozialpsychologische Hintergründe können hier nicht ausreichend untersucht und dargestellt werden. Dies liegt nicht nur an dem geringen Umfang, auf den sich diese Arbeit erstrecken kann, sondern auch daran, dass die Forschung sich bisher mit dem Thema kaum beschäftigt hat. Lediglich die Literaturwissenschaftler Solms und Bogdal geben einen kurzen Überblick über die Sicht Luthers auf die Sinti.7) Forschungen von Kirchenhistorikern sind nicht bekannt.

Die Bedeutung von Gruppenbildungsprozessen für die Etablierung von Stereotypen

‹4› Die Wurzeln von Verfolgungen sind – so Adorno – bei den Verfolgern und nicht bei den Verfolgten zu suchen.8) So erkannten schon Norbert Elias und John L. Scotson in ihrer Untersuchung über Etablierte-Außenseiter-Beziehungen, dass sich machtstärkere Gruppen immer gegenüber machtschwächeren abgrenzen. Sie schließen ihre Reihen und verhindern jegliche Partizipation der Ausgeschlossenen, die als angeblich anomisch an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.

‹5› Anstatt diese Prozesse und die daraus resultierenden Konstruktionen aber zu hinterfragen, hält man daran fest. Die daraus folgernde Vorurteile werden wie es bereits Elias und Scotson schrieben als „Probleme des hier und jetzt“ behandelt ohne den Gruppenprozess der Vergangenheit zu beachten.9) Bezüglich den Sinti und Roma glaubt man weiterhin an das Bild, dass diese aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit oder gar wie es Himmler formulierte „aus dem Wesen dieser Rasse heraus“10), mehr zur Kriminalität neigen würden. Dies ist wissenschaftlich gesehen jedoch Unsinn.

‹6› Gemäß Hamburger, der erläuterte, dass „die gegensätzliche Aufnahme der Migranten in der Gesellschaft des ausgehenden Mittelalters und der hereinbrechenden Neuzeit (…) sich aus den Widersprüchen dieser Zeit mehr erklären (lässt) als aus dem Status und den Besonderheiten der Migranten selbst“11), werden hier die Sinti vor allem aus der Sicht von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft (Chronisten, Luther) betrachtet. Dabei besteht die größte Gefahr darin, Stereotype schlichtweg unreflektiert weiter zu transportieren. Eine Untersuchung sollte daher nach Möglichkeiten durch Zeugnisse der Sinti selbst ergänzt werden, aufgrund der Überlieferung ist dies allerdings schwierig.

‹7› Für den Blick auf die Zeit der Reformation spricht des Weiteren, neben der Tatsache, dass hier die Sinti nach Europa gelangten, auch dass hier gemäß Elias und Scotson, die Gruppenprozesse stattfanden, welche die heutigen Vorurteile maßgeblich prägten. Nicht nur die Sinti mussten als Gruppe von den Einheimischen ‚definiert‘ werden, auch kam es mit der Reformation zu der Bildung einer neuen machtstarken Gruppe – nicht zuletzt auch wegen Luthers Pakt mit der Obrigkeit. Und, dass nach Hahn und Hahn eine beschleunigte Kommunikation, wie sie durch Buchdruck und Reformation gegeben war, der ideelle Nährboden für die Wirksamkeit und die Verbreitung von Stereotypen darstellt.12)

‹8› Bewusst sollte zudem sein, dass Stereotypen nicht nur historisch geformt werden, sondern auch mit Diskriminierung einhergehen, was konkret die Einschränkung von Rechten, die Verweigerung des Zugangs zu Ressourcen, die Verhinderung einer Teilhabe und die Entwürdigung des Einzelnen in der Gegenwart bedeutet.13)

Die Ankunft der Sinti und der Beginn des Feindbildes ‚Zigeuner‘

Die Chroniken von Cornerus und Andreas

‹9› Über die Ankunft der Sinti in die deutschen Länder Anfang des 15. Jahrhunderts geben etliche Stadtchroniken Auskunft, dies aber oft mit einer großen zeitlichen Diskrepanz. Als einzige Zeitzeugen gelten der Dominikanermönch Cornerus und der Presbyter Andreas. Beide berichten von einer großen Menge fremder Pilger aus dem Osten, die über einen Geleitbrief von König Sigismund verfügte, durch welchen sie nach Cornerus „zugelassen und menschlich behandelt wurden.“ Laut beiden Chronisten schlief die Gruppe aber außerhalb der Stadtmauern. Nach der Chronik des Cornerus (Lübeck, 1435), „weil sie sich sehr dem Diebstahl widmete und fürchtete, in den Städten aufgegriffen zu werden“ und nach der des Andreas (Regensburg, 1424), es ihnen nicht erlaubt war „in den Städten zu wohnen“, da sie sich „nämlich den Besitz der anderen geschickt durch Diebstahl“ aneigneten.14)

‹10› Beide Berichte weisen andererseits die Sinti eindeutig als gläubige Pilger aus und bezweifeln auch die Echtheit des Geleitbriefes nicht, wobei sich die Gründe für die Pilgerfahrt allerdings widersprechen.15) Laut Cornerus seien die Sinti auf einer Bußfahrt, die ihnen von ihrem Bischof wegen ihrem Rückfall ins Heidentum auferlegt wurde, und nach Andreas seien sie „zum Zeichen und zur Erinnerung an die Flucht des Herrn nach Ägypten“ ausgewandert.

‹11› Feindbilder wie die ‚schöne Zigeunerin‘16), die ‚wahrsagende alte Zigeunerin‘17) und/oder der ‚gottlose Zigeuner‘18) werden in den Chroniken von Chornerus und Andreas nicht wiedergegeben. Das einzige bekannte Bild ist das des Diebstahls. Da aber gleichzeitig davon berichtet wird, dass die Geleitbriefe über welche die Sinti verfügten, nicht nur nicht eingehalten wurden, sondern nach Cornerus auch einige Sinti von Einheimischen ermordet wurden, deuten diese Beschreibungen vielmehr auf eine Legitimation dieser Nicht-Einhaltung bzw. auf Eigentumsdelikte aus der Not heraus hin.19)

‹12› Die Ähnlichkeiten der beiden Chroniken, trotz der großen räumlichen Distanz, führte bereits Gronemeyer auf eine „mündliche Meinungsbildung“ im Volk zurück.20) Dass es bereits zu einer Volksmeinung über die Sinti zu dieser Zeit kam, spiegelt auch die Tatsache wieder, dass Cornerus die Sinti vermutlich gar nicht selbst gesehen hat und Andreas nur aus weiter Ferne.21) Geprägt scheinen die Bilder über Sinti vorwiegend durch die Angst vor der so genannten ‚Türkengefahr‘ und durch die Zunahme der Armut zu sein. Beides wird auch an den frühen Chroniken sichtbar.

Zigeuner‘ als ‚Spione der Türken‘ und als ‚Herbergsverweigerer‘

‹13› Bereits 1424 schrieb der Presbyter Andreas, dass im Volk gesagt werde, dass die ‚Zigeuner‘ „heimliche Kundschafter im Lande seien“22) und Cornerus schrieb, dass sie „schwarz wie Tataren“23) seien, womit er mit der Erinnerung an die Einfälle der Tataren im 13. Jahrhundert in Schlesien und der Verknüpfung ‚schwarz‘ als Farbe des Teufels ein Bedrohungsszenario ausmalte.24) Diese Gerüchte, die vor allem aufgrund der vermeintlichen Herkunft aus dem Osten entstanden25), griffen die Landesfürsten auf und erklärten die Sinti bei den Reichstagen in Lindau (1496/97) und Freiburg (1498) offiziell zu Spionen der Türken und Auskundschafter des Christenlandes. Als erste und einzige Volksgruppe wurden die Sinti kollektiv zu Vogelfreien erklärt.26) Sie verfügten somit über keine Rechte, konnten jederzeit getötet werden und konnten sich nicht niederlassen, da sie keinen Eigentum besitzen durften.

‹14› Fast zur selben Zeit schrieb Krantz (1490)27) in seiner sächsischen Chronik zum Jahr 1417, dass ‚Zigeuner‘ zum Müßiggang neigen und dem Bauernvolk „hart im Nacken“ sitzen würden, da „sobald jenes draußen auf den Feldern arbeitet, (…) diese auf Beute in ihren Hütten aus“ seien. Kollektiv spricht ihnen Krantz ihre Religion ab und erklärt die Bußfahrt zu einem Märchen. Einige Jahre später erzählte man im Volk, dass die Vorfahren der Sinti der Heiligen Familie in Ägypten die Herberge verweigert hatten. Aufgrund dieser ‚historischen Schuld‘ erschien die Vertreibung der Sinti als gottgewollt.28)

‹15› Somit wurden die Sinti als ‚Diebe‘ (vgl. Andreas und Cornerus), als ‚Spione der Türken‘ (vgl. die Reichstagsabschiede) und letztendlich als ‚gottlose Herbergsverweigerer‘ aus der christlichen und städtischen Armenfürsorge, die durch eine dramatisches Anwachsen der Bettler vollkommen überlastet war, ausgeschlossen und mit den einheimischen Armen an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Sie galten jetzt nicht mehr als Pilger, sondern als Bettler. Der Antiziganismus der Frühen Neuzeit hatte somit nach dem Soziologen Maciejewski einen „spezifischen ökonomischen (Hinter-)Grund“.29)

„…wie die Zigeuner“ – Das Feindbild ‚Zigeuner‘ bei Luther

‚Zigeuner‘ als ‚falsche Bettler‘

‹16› Noch vor der Reformation Luthers erschien der Liber Vagatorum (1510), der 41 Arten von ‚falschen Bettlern‘ aufführte. Der rasante Anstieg der Armut in der Frühen Neuzeit schien es nötig zu machen, zwischen ‚würdigen‘ und ‚unwürdigen‘ Armen und somit auch zwischen ‚wahren‘ und ‚falschen‘ Bettlern zu unterscheiden. Vor allem die Unterschichten vom Land, die in der Stadt Arbeit suchten und dort von den Zünften als Konkurrenz ausgeschlossen wurden, sind an den gesellschaftlichen Rand gedrängt worden. Es setzte sich immer mehr durch, dass die Armen eine Ortszugehörigkeit zum Empfangen von Almosen vorweisen mussten.30)

‹17› 1528 gab Martin Luther unter dem Titel „Von der falschen Bettelbüberey“ eine Neuauflage des Liber Vagatorum mit einem eigenen Vorwort heraus. Ganz gemäß der bereits eingetretenen Armutspolitik sprach er sich dafür aus, die eigenen Armen zu unterstützen und die Fremden, die er pauschal der Spitzbüberei und der Teufelskunde bezichtigte, zu vertreiben. Dabei nennt er zwar nicht explizit die Sinti, aber er erwähnt Fähigkeiten, die vor allem diesen zugeschrieben wurden unter anderem die „schwartze kunst“.31) Damit stellt er sich deutlich nicht auf die Seite der Ausgeschlossenen, sondern auf die der Zünfte und der städtischen Obrigkeit. Almosen, die dem Geber im Mittelalter noch als Heilsgewinn dienten, lehnte er nicht nur aufgrund seiner Rechtfertigungslehre ab.

‹18› Nach Luther hat Gott die Menschen zur Arbeit erschaffen. Armut war somit die gerechte Strafe Gottes für mangelnden Arbeitseifer und für begangene Sünden.32) Dadurch machte er die von der Gesellschaft Ausgeschlossenen – allerdings nur die fremden Bettler33) – für ihr Schicksal selbst verantwortlich und brachte sie mit dem Teufel in Verbindung. Die Sinti, die zu dieser Zeit – wie bereits aufgezeigt – nicht mehr als Pilger galten, sind aufgrund ihrer fehlenden Ortszugehörigkeit definitiv diesen ‚fremden Bettlern‘ zuzuordnen.

‚Zigeuner‘ als ‚schwarze Magier‘

‹19› Bereits 1522, als Luther sich wohl zum ersten Mal zu den Sinti äußerte, brachte er diese mit dem Teufel und mit schwarzer Magie in Verbindung. In der „Predigt zum Evangelium am Tage der heiligen drei Könige“ schrieb er, dass Magier „nitt wie die propheten weyssagen, ßondern durch schwartze kunst, wie die Thattern oder tzygeuner pflegen.“34)

‹20› Gemäß seines Glaubens würden Propheten durch ‚göttliche Legitimation‘ handeln, während die ‚schwarze Kunst‘ der ‚Zigeuner‘ auf einem Pakt mit dem Teufel basiere,35) der nur durch ihre Gottlosigkeit und der fehlenden Angst vor der Verdammnis zu erklären sei.36) In seinen Schriften forderte er somit mehrmals ein scharfes Vorgehen gegen die schwarze Magie, wobei er selten von ‚Zigeuner‘ sprach, sondern von Malifikanten, Zauberern oder Teufelsbeschwörern.37) Da den ‚Zigeunern‘ schon vor Luther magische Fähigkeiten und die Verbindung zum Teufel im Volksglauben (z.B. durch die vermeintliche Herkunft aus Ägypten38)) nachgesagt worden sind, wurden die Bilder die Luther über die ‚schwarzen Künste‘ prägte sowie tradierte, von seinen Lesern sicher auch mit den Sinti in Verbindung gebracht. Den Hexenglauben – so Haustein – nutzte er aber vor allem als sprachliches Hilfsmittel für Vergleiche mit dem Ziel Christus größer und mächtiger als den Teufel darzustellen.39)Genau dies tat er auch in der aufgezeigten Textstelle. Die ‚Zigeuner‘ dienten ihm hier lediglich zum Vergleich und zur Aufwertung der Weissagungen der Propheten.

‹21› Zwar gab es bereits vor Luther eine Verbindung zwischen ‚schwarzer Magie‘ und ‚Zigeuner‘ im Volksglauben, aber nach Luther berichteten die Chronisten vermehrt von der Wahrsagerei der ‚Zigeuner‘ und von einer vermeintlichen Herkunft dieser aus Ägypten bzw. Klein-Ägypten.40) In wieweit dies in Verbindung zu Luther steht oder Resultat eines verfestigten Volksglauben war, kann wahrscheinlich nur schwer bestimmt werden. Reformierte Städte griffen aber auf die Schriften Luthers zurück. So legitimierte Kurfürst August I. 1556 im reformierten Sachsen die Ertränkung von ‚Zigeunern‘ mit dem Verweis darauf, dass diese ‚böse Künste‘ treiben würden.41)

,Zigeuner‘ als ‚falsche Christen‘

‹22› Durchgängig gelten bei Luther ‚Zigeuner‘ als gottlos und mit dem Teufel im Bunde stehend. Während er Juden als ‚verstockt‘42) ansah, aber sie dennoch für seine Reformation gewinnen wollte, lehnte er eine Taufe, der bis vor kurzem noch als gläubige Pilger geltende Sinti strikt ab. In „Von Ehesachen“ (1530) behauptete er gar, dass ‚Zigeuner‘ „ständig Hochzeit und Taufe halten, wo sie hinkommen, so daß eine Dirne wohl zehnmal getraut und ein Kind zehnmal getauft wird.“43)

‹23› Taufe und Hochzeiten konnten bei den ‚Zigeunern‘ somit nach ihm kein Ausdruck des Glaubens sein, sondern lediglich ein Betrug an den Christen, um an Hochzeits- und Taufgeschenke zu gelangen.44) In Wirklichkeit würden sie in Unzucht leben, beschreibt er doch gerade die Frauen als „Dirnen“. Vermutlich spiegelt die Behauptung aber auch seinen Glauben an die kirchlichen Sakramente wieder. Dadurch, dass er die Ehe im Gegensatz zur Taufe nicht als Sakrament anerkennt,45) wirkt der Vorwurf der „zehnmal getauften Kinder“ vermutlich gravierender als der Vorwurf der „zehnmal verheirateten Dirnen“. Damit würde das Bild nicht nur einen angeblichen Betrug der ‚Zigeuner‘ an den Christen widerspiegeln, sondern durch die Missachtung der göttlichen Gebote auch wieder eine Verbundenheit der ‚Zigeuner‘ mit dem Teufel.46)

Luthers Feindbild ‚Zigeuner‘ in Bezug zu seinem Antijudaismus47)

‹24› In seinen Schriften gibt es wie bereits aufgeführt keine Anzeichen dafür – im Gegensatz zu den Juden –, dass er die Sinti für seine Reformation gewinnen wollte. Zu gottlos, zu sehr mit dem Teufel verbunden und zu sehr die heiligen Sakramente missachtend, beschrieb er sie. Wobei hier fraglich bleibt, ob sie ihn wirklich so erschienen oder ob er diese rechtlose Stellung nicht schlichtweg für die Legitimierung seiner Forderungen und Vergleiche nutze bzw. ob er ihnen die Religiosität absprach, weil sie über kein soziales und ökonomisches Kapital verfügten, dass ihm und seiner Reformation nützlich gewesen wäre.

‹25› In „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) rät er den Territorialherren jedenfalls, die Juden so zu behandeln, „wie die Zigeuner, auff das sie wissen, sie seien nicht Herrn in unserem Lande, wie sie rhümen, Sondern im Elend und gefangen“.48) In „Vom Shem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“ (1543) verwirft er komplett judenfeindliche Vorurteile (Brunnenvergiftung, Ritualmord und Wucher) mit antiziganistischen Vorurteilen (arbeitsscheue zusammengerottete Sitzbuben und Spione der Türken).49) Damit rief er nach Wippermann zu der Vertreibung, „wenn nicht sogar Vernichtung“50) der Juden auf. Den Spionagevorwurf gegenüber den Juden wiederholte er dabei allerdings nicht.51)

‹26› Luther nahm somit – wie es Solms schreibt – „nicht etwa am Elend und an der rechtlosen Lage der für vogelfrei erklärten ‚Zigeuner‘ Anstoß, sondern hält die Tatsache, dass sie ‚im Elend und gefangen‘ leben, für selbstverständlich. (…) Ihm geht es hier allein darum, dass es den Juden ebenso schlimm ergeht.“52)

Das Feindbild ‚Zigeuner‘ zur Abwertung der eigenen Gegner

‹27› Letztendlich diente Luthers ‚Zigeunerbild‘ aber vor allem auch seinem eigenen Selbstbild. Luther, der selbst 1518 begann einige seiner Werke in der Volkssprache herauszugeben, äußerte sich immer wieder über die Sprachmerkmale seiner Gegner, die ebenfalls anfingen in der Volkssprache zu publizieren.53) Während er seine eigene Fähigkeiten dabei immer hervorhob, bezichtigte er seine Gegner der deutschen Volkssprache nicht mächtig zu sein.

‹28› So behauptet er in „Wider die himmlischen Propheten“ (1525), dass ein deutsch sprechendes Kind lachen würde und sagen würde „Du bist eyn Tatter odder Zygeuner“, wenn es jemanden „Der frau“ oder „Das man“ sagen hören würde.54) In „Daß diese Worte Christi ‚Das ist mein leib‘ noch fest stehen“ (1527) behauptet er gar, dass wenn er die Werke von seinen Gegnern anonym vorgelegt bekäme, würde er denken „es hette sie etwa ein Zygeuner odder loser bube gemacht uns Christen zu spot.“55)

‹29› Während er sich selbst darüber definiert, dass er eine volksnahe Sprachkommunikation aufbaute, äußert er sich negativ über die von ihm als schlecht angesehenen Sprachkenntnisse seiner Gegner ohne dies aber näher zu erläutern. Im genügt hier wiederum lediglich der Vergleich zur Höherbewertung des Eigenen, wobei der Vergleich hier noch dadurch verstärkt wird, dass er darauf zurückgreift, dass selbst Kinder die ungenügenden sprachlichen Kenntnisse seiner Gegner, die er mit den sprachlichen Kenntnissen von ‚Zigeunern‘ gleichsetzt, erkennen und sich darüber amüsieren würden. Anstatt zu begründen, warum seines Erachtens die Schriften seiner Gegner nicht so gut seien wie seine, gibt er lediglich ein assoziiertes Bild wieder.

Fazit

‹30› „Heut zu Tage“ – so konnte man es im Zedler von 1749 lesen, sei es „… mehr als zu bekannt, daß diese Zigeuner nichts anders seyn, denn ein zusammen gelauffenes böses Gesindel, so nicht Lust zu arbeiten hat, sondern von Müßiggang, Stehlen, Huren, Fressen, Sauffen, Spielen u.s.w. Profession machen will.“56) Das protestantische ‚Zigeunerbild‘ wurde somit lexikalisches Wissen.

‹31› Wie aufgezeigt wurde aber hatten die Bilder über die Sinti kaum etwas gemeinsam mit der Realität. Dies wird schon alleine dadurch sichtbar, dass sich das Bild von den Sinti rapide verschlechterte als die christliche Armenfürsorge an Bedeutung verloren hat. Aus fremden gläubigen Pilgern wurden fremde gottlose Bettler. Dadurch, dass den Sinti nicht nur die Fürsorge verweigert wurde, sondern auch der Zugang zu den Städten und zu den Zünften, konnten sie oftmals nur durch Diebstähle und durch ‚unchristliche‘ Arbeiten (z. B. Handlesen) überleben. Dies bestätigte wiederum die Legitimation des Ausschlusses für die Mehrheitsgesellschaft. Da die Sinti zudem aus dem Osten kamen, konnte die damalige Politik durch Verweis auf angebliche Spionagetätigkeiten ihr eigenes Handeln legitimieren und v. a. auch die sogenannte Türkensteuer durchbringen.

‹32› Luther selbst griff diese existierende Bilder auf, nutzte sie für seine Zwecke und hinterfragte sie nie. Wie im damaligen Volksglauben verbreitet spricht auch Luther den ‚Zigeunern‘ ihre Religion ab und beschreibt sie als ‚schwarze Magier‘, ‚falsche Christen‘ und ‚falsche Bettler‘. Gerade deshalb, weil seine Schriften eine große Verbreitung fanden, hat er damit maßgeblich zu den Vorurteilen gegenüber den Sinti beigetragen, mit denen er sich nachweislich niemals näher auseinandergesetzt hat. Das ‚Zigeunerbild‘ nutzte ihm lediglich zur Stärkung seines Selbstbildes und zum Vergleich: „…wie die Zigeuner“ seien seine Gegner, „…wie die Zigeuner“ sollten die Juden behandelt werden und nicht „…wie die Zigeuner“ seien die Propheten Gottes.

‹33› Wie zu Beginn beschrieben, führt Nobert Elias Vorurteile auf Gruppenprozesse zurück. Dass dies auch im Falle der Sinti zutreffend ist, wurde hier sichtbar. Als machtschwächere Gruppe wurden die Sinti an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Während Luther seiner Gruppe ein besonderes Charisma zusprach, sprach er es den Sinti kollektiv ab. Die von Luther (mit)geprägten Bilder fanden zudem Einzug in die Lexika, wurden jahrhundertelang tradiert und dabei nicht hinterfragt, sondern vielmehr der aktuellen Zeit und Erkenntnissen (z. B. der Herkunft) angepasst.57)

‹33› Die Forschungen zu Luthers „Zigeunerbild“ stehen am Beginn. Näher untersucht werden müssen definitiv die theologischen und sozialpsychologischen Hintergründe, die Rolle des Paktes Luthers mit der Obrigkeit und die Rolle des protestantischen Arbeitsethos. Es sollte aber auch die Reformation im Ganzen untersucht werden: Wie war der Blick der einzelnen Reformatoren auf die Sinti? Wie gingen die reformierten Staaten im Vergleich zu den nicht reformierten Staaten mit den Sinti um und aus welchen Gründen? Welche Rolle spielte die Armenfürsorge? Welche Bilder fanden Eingang in unsere Erinnerungskultur? Und wieso wurde Luthers Antiziganismus bisher noch nie offen thematisiert?

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Rheinheimer, Martin: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450–1850. Frankfurt am Main 2000.

Rose, Romani: Bürgerrechte für Sinti und Roma. Das Buch zu Rassismus in Deutschland. Heidelberg 1987.

Solms, Wilhelm: „Kulturloses Volk“? Berichte über „Zigeuner“ und Selbstzeugnisse von Sinti und Roma. Marburg 2007 (=Beiträge zur Antiziganismusforschung, Bd. 4).

Solms, Wilhelm: Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte. Von der frühen Neuzeit bis zur Romantik. Würzburg 2008.

Terkessidis, Mark: Interkultur. Berlin 2010.

Uerlings, Herbert: Stigma ‚Zigeuner‘. Formen der Stigmatisierung der „Zigeuner“ im deutschsprachigen Raum. In: Sass, Maria [u.a.] (Hrsg.): Europa und seine „Zigeuner“. Literatur- und kulturgeschichtliche Studien. Sibiu/Hermannstadt 2007, S. 84–117.

Vocelka, Karl: Geschichte der Neuzeit. 1500–1918. Wien [u.a.] 2010.

Winckel, Änneke: Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland. Münster 2002.

Wippermann, Wolfgang: „Wie die Juden“? Die Kontroverse über den Völkermord an Sinti und Roma. In: UTOPIE kreativ 175 (2005), S. 445–451.

Wippermann, Wolfgang: „Wie die Zigeuner“. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich. Berlin 1997.

Wippermann, Wolfgang: Auserwählte Opfer? Shoah und Parrajmos im Vergleich. Eine Kontroverse. Berlin 2005.

Wolf, Herbert: Luthers spielerischer Umgang mit Spracheigenheiten anderer. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 2 (2000), S. 148–167.

Zülch, Tilman (Hrsg.): In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt. Zur Situation der Roma (Zigeuner) in Deutschland und Europa. Reinbek bei Hamburg 1979.

Anhang

[Ländercodes nach ISO-3166-1] Durchschnitt (Skala von 1-10) Wohl (8,9,10) Unwohl (1,2,3) Sinti-/Roma-Freunde/-Bekannte
PL 7,5 58% 12% 7%
ES 6,8 42% 13% 32%
MT 6,8 43% 18% 2%
RO 6,2 34% 20% 42%
EU 6,0 36% 24% 14%
DE 5,8 33% 25% 5%
AT 5,3 22% 28% 3%
IT 4,0 14% 47% 5%
CZ 3,7 9% 47% 18%

(vgl.: Europäische Union, Eurobarometer Spezial 296, S. 46)

Fußnoten

  1. Wippermann, Wie die Zigeuner, S. 195.  »
  2. Vgl. hierzu: Hamburger, Franz: Antiziganismus in den Medien von heute. In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg [u.a.] (Hrsg.): „Zwischen Romantisierung und Rassismus“. Sinti und Roma – 600 Jahre in Deutschland. Handreichung zur Geschichte, Kultur und Gegenwart der deutschen Sinti und Roma. Stuttgart 1998. Winckel, Änneke: Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland. Münster 2002. Sowie: Awosusi, Anita (Hrsg.): Stichwort: Zigeuner. Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien. Heidelberg 1998 (= Schriftenreihe des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, Bd. 8). »
  3. Laut einer Länderstudie der EU zum „Wohlfühlgrad angesichts eines Sinti oder Roma als Nachbar“ aus dem Jahr 2008 würde sich jeder vierte Europäer unwohl fühlen, wenn er einen Sinti oder Roma zum Nachbar hätte. Die Ergebnisse spiegeln dabei wieder, dass der „Wohlfühlgrad“ nicht im Zusammenhang steht mit wirklichen Bekanntschaften zu der abgelehnten Gruppe. Inwieweit eine antiziganistische Politik der Parteien eine Rolle bei der Ablehnung spielt wurde nicht untersucht. Auswahl der Ergebnisse, siehe Tabelle im Anhang. »
  4. Heitmeyer, S. 39f. »
  5. Im Folgenden ist von den Sinti die Rede, wenn es sich um die reelle Volksgruppe handelt, die seit 600 Jahren in den deutschen Ländern beheimatet ist. Werden Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft widergespiegelt, wird der Begriff ‚Zigeuner‘ benutzt, da diese Zuschreibungen nichts mit den reellen Personen gemein haben. Da als Roma heute vorwiegend die in Osteuropa beheimate Volksgruppe angesehen wird, wird die Bezeichnung ‚Sinti und Roma‘ nur für die Zeit ab 1900 genutzt. Da hier hauptsächlich die Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft untersucht werden, sind unter ‚Sinti und Roma‘ Menschen gemeint, die von der Mehrheitsgesellschaft als solche angesehen (und diskriminiert) werden unabhängig davon, ob sie sich auch selbst als Sinti oder Roma bezeichnen würden.  »
  6. Vgl. Reske, ohne Paginierung. »
  7. Vgl.: Solms, Zigeunerbilder, S. 44–47; Bogdal, S. 77. »
  8. Adorno, Erziehung nach Auschwitz, S. 90. »
  9. Vgl. Elias, Norbert / Scotson, John L.: Etablierte und Außenseiter. Frankfurt am Main 1990. Zu der Aktualität von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen siehe auch: Messerschmidt, Astrid: Weltbilder und Selbstbilder. Bildungsprozesse im Umgang mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte. Frankfurt 2009. Sowie: Terkessidis, Mark: Interkultur. Berlin 2010. Terkessidis schreibt hier über die Bedeutung der Mechanismen von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen: „Und so gelten die anderen in der Gesellschaft entsprechend der aktuellen diskursiven Gepflogenheit als faul, schmutzig, übel riechend, grausam, patriachal, sexistisch, gewalttätig, verblendet, fundamentalistisch etc. Und wie in einem umgekehrten Spiegelbild erstrahlt die Gruppe der Einheimischen als das exakte Gegenteil dieser Zuschreibungen.“ So geht es seiner Schlussfolgerung nach bei Rassismus „also nicht um ‚Feindlichkeit‘ gegenüber ‚Fremden‘, sondern vielmehr um einen gesellschaftlichen ‚Apparat‘, in dem Menschen überhaupt erst zu Fremden gemacht werden.“ (S. 88).  »
  10. So erläutert Himmler in seinem Runderlass vom 8. Dezember 1938, dass die „Bekämpfung der Zigeunerplage“ „aus dem Wesen dieser Rasse heraus“ erfolgen sollte. Gemäß ihm würden die „reinrassigen“ Sinti und Roma vor allem zum Wanderbetrieb neigen, und die „Mischlinge“ verstärkt zur „Kriminalität“. Dieses Denken ist noch weit in die Nachkriegszeit übernommen worden, in dem der ‚rassisch motivierte‘ Völkermord zu einer ‚kriminalpolitischen Maßnahme‘ erklärt worden ist. Vgl. zur deutschen Vergangenheitspolitik gegenüber den Sinti und Roma: Zülch, Tilman (Hrsg.): In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt. Zur Situation der Roma (Zigeuner) in Deutschland und Europa. Reinbek bei Hamburg 1979. Peritore, Silvio: Geteilte Verantwortung? Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma in der deutschen Erinnerungspolitik und in Ausstellungen zum Holocaust. Hannover 2012. Rose, Romani: Bürgerrechte für Sinti und Roma. Das Buch zu Rassismus in Deutschland. Heidelberg 1987. Margalit, Gilad: Die Nachkriegsdeutschen und „ihre Zigeuner“. Die Behandlung der Sinti und Roma im Schatten von Auschwitz. Berlin 2001 (Reihe Dokumente, Texte, Materialien, Bd. 36). »
  11. Hamburger, S. 11.  »
  12. Hahn & Hahn, S. 51f.  »
  13. Vgl. hierzu: Messerschmidt, S. 163. »
  14. Beide Chroniken sind abgedruckt bei: Gronemeyer, Reimer: Zigeuner im Spiegel früher Chroniken und Abhandlungen. Quellen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Gießen 1987. »
  15. Diverse Geleitbriefe, die auf ihre Echtheit untersucht wurden, befinden sich in unterschiedlichen deutschen Archiven (vgl. Bogdal, S. 33f).  »
  16. Da hinter jeder „positiven Stereotypenbildung (…) die negative Stereotypie direkt lauert“ ist auch einer solchen entgegenzutreten (Adorno, Bekämpfung des Antisemitismus, S. 378). Dies gilt auch für das Bild der ‚schönen Zigeunerin‘, das seinen Ursprung in der Romantik hat (Bogdal, S. 14), als auch für den Glauben an die besondere Musikalität der ‚Zigeuner‘. In den Chroniken der frühen Neuzeit ist von beiden Bildern nicht die Rede. Während eine Musikalität gar nicht erwähnt wird, werden die Sinti vor allem in den späteren Chroniken als hässlich und schwarz dargestellt (siehe dazu auch Kapitel ‚Zigeuner‘ als ‚Spione der Türken‘ und als ‚Herbergsverweigerer‘). »
  17. Siehe Kapitel ‚Zigeuner‘ als ‚schwarze Magier‘. »
  18. Siehe die Kapitel ‚Zigeuner‘ als ‚Spione der Türken‘ und als ‚Herbergsverweigerer‘. und ‚Zigeuner‘ als ‚falsche Christen‘  »
  19. Von einer Ausgrenzung trotz Geleitbriefen wird auch von anderen Städten berichtet. So erhielten die Sinti als Pilger in Frankfurt zwar zunächst Almosen, wurden aber bereits beim zweiten Bittgang abgewiesen und ihnen wurde verboten die Stadt zu betreten. (Bogdal, S. 34). »
  20. Gronemeyer, S. 21 »
  21. Reemtsma, S. 27f. »
  22. Gronemeyer, S. 20. »
  23. Ebd., S. 15 »
  24. Solms, Zigeunerbilder, S. 31. »
  25. Erst um 1780 erkannten die Sprachwissenschaftler, dass das Romanes mit dem altindischen Sanskrit verwandt ist und auch persische, armenische, griechische und slawische Wörter enthält. Als sicher gilt, dass sich die Sinti seit dem 11. Jahrhundert bei der Hafenstadt Modon aufhielten und vermutlich Anfang des 15. Jahrhunderts bei der Eroberung von Byzanz durch die Osmanen über den Balkan und Ungarn nach Mitteleuropa gelangten (Solms, Zigeunerbilder, S. 13). Die Ursachen der Auswanderung aus Indien sind unklar (vgl. Reemtsma S. 13-18). Die Entdeckung der indischen Herkunft zeigt aber deutlich die Wandelbarkeit des „Zigeunerbildes“. Von nun an erzählte man – gestützt auf einen persischen Dichter –, dass ein persischer König seinen Armen eine Freude machen wollte und deshalb vom indischen König 10.000 Luri erbat. Diese sollten für die persischen Bauern musizieren und gleichzeitig selbst zu Bauern werden. Als dies aufgrund der angeblichen Arbeitsscheu der Luri misslang, wurden sie verdammt und ziehen seitdem musizierend durch die Welt (Köhler-Zülch, S. 46f). »
  26. Als Gründe können hierfür genannt werden: Eigene Territorial- und Steuerinteressen, die Legitimation des Ausschlusses aus der Armenfürsorge, die Beseitigung der zu „Verantwortlichen der sozialen Unruhen erklärten“ und die tatsächliche Angst vor er türkischen Bedrohung (vgl. u.a. Herzig, fremde im frühmodernen Staat, S. 38f; Bogdal, S. 54). »
  27. Die Chronik des Krantz ist abgedruckt bei Gronemeyer (S. 25ff). »
  28. Solms, kulturloses Volk, S. 47. Diese Legitimationsgeschichte des Ausschlusses wird solange tradiert bis sie schließlich als historische Wahrheit Einzug ins Lexikon fand (Uerlings, S. 95f). »
  29. Maciejewski, S. 14. Neben den wirtschaftlichen Veränderungen sind vor allem individuelle Ursachen (Verlust des Ernährers, Krankheit, Unfall und Alter), Bevölkerungswachstum und Lebensmittelteuerungen für den Anstieg der Armut zu nennen. »
  30. Reinheimer, S. 95ff. »
  31. Vgl. Solms, Zigeunerbilder, S. 37f. Siehe hierzu auch Kapitel „Zigeuner“ als „schwarze Magier“ »
  32. Vocelka, S. 132. »
  33. Hier müsste überprüft werden, in wieweit die Kriminalisierung der fremden Bettler mit der Tatsache zusammenhängt, dass gerade die Zugezogenen, die über kein bzw. nur wenig Sozialkapital verfügten, vermehrt Eigentumsdelikte begingen und somit mit den sich herausbildeten Territorialstaaten mehr in Konflikt gekommen sind (Rheinheimer, S. 101) oder aber auch inwiefern dieses fehlende Sozialkapital den Ausschluss schlichtweg begründbarer machte. »
  34. WA 10.1, S. 559. »
  35. Haustein, S. 65. »
  36. Bogdal, S. 68f. »
  37. Haustein, S. 33f. Hie führt er eine ganze Reihe von Synonymen für den Begriff ‚Hexe‘ bei Martin Luther auf. Den Begriff ‚Zigeuner‘ erwähnt er dabei nicht. Bei seinen Synonymen verwendete Luther aber vornehmlich weibliche Bezeichnungen. Inwieweit Luther dabei mitschuldig an den Hexenprozessen der Frühen Neuzeit war, wird in der Forschung heftig diskutiert (vgl. ebd., S. 13-31). Sicher ist, dass die Verbindung zwischen Frauen und Teufel auch im Bild der ‚wahrsagenden Zigeunerin‘ wiederzufinden ist. Wie beim Hexenglauben auch, wird über männliche Magie aufgrund einer Teufelsverbindung auch bei den ‚Zigeunern‘ nur selten berichtet. »
  38. ie Herkunft aus Ägypten war im Volksglauben nicht nur mit der Geschichte der verweigerten Herberge sondern auch mit Magie und Hellseherei verbunden (vgl. Solms, Zigeunerbilder, S. 30). In der Chronik von Krantz (1490) wird zudem berichtet, dass das Volk die „Zigeuner“ als „Tartaren“ (Tatarus = Unterwelt) bezeichnet (vgl. Gronemeyer, S. 26). Inwieweit Luther in seinen Vergleich die „Zigeuner“ mit dem mongolischen Tataren oder mit der Unterwelt in Verbindung bringt, müssten Sprachforscher klären. »
  39. Ebd., S. 34 und S. 107. »
  40. So u.a. Hedio (1537), Stumpf (1538), Muenster (1550), Tschudi (1560) und Wurstisen (1580). Lediglich Aventinus (1522) lehnte eine Herkunft der Sinti aus Ägypten und damit auch die Legende um das verweigerte Nachtquartier ab. Dies liegt aber vor allem daran, dass er die ‚Zigeuner‘ als Spione der Türken ansah und sie demnach aus dem Grenzgebiet zu der Türkei stammen mussten. Als Wahrsager bezeichnete er sie dennoch (Gronemeyer, S. 28ff). »
  41. Solms, Zigeunerbilder, S. 27. »
  42. Kaufmann, S. 112. »
  43. WA 30.3, S. 227. »
  44. Solms, Zigeunerbilder, S. 46. »
  45. Brecht, S. 273. »
  46. Einzug in die Literatur fand nur der Vorwurf des Betruges (vgl. Bogdal, S. 77). »
  47. Erst als 1983 das Lutherjahr begangen wurde, rückte Luthers Antijudaismus näher in den Blick der Forschung, gedachte man doch zeitgleich an den 50. Jahrestages der nationalsozialistischen Machternennung. Obwohl man sich damals weitgehend eingestand, dass sich Luther antijudaistisch äußerte, versuchte man dies zu relativieren. So verwies der spätere Bundespräsident Johannes Rau darauf, dass Luther nur verhaftet in seiner Zeit gewesen sei und führt zur Untermauerung diverse Zeitgenossen an. (Rau, V-VI). Bienkert äußerte sich gar dahingehend, dass Luther Recht habe mit seinem Hass gegen „die um ein goldenes Kalb tanzenden Juden, die in der Wüste gegen Gott murrenden Juden, die den Jesus die Römer ausliefernden Juden“ und vor allem gegen die „wuchernden Juden“. (S.14), Zu Luthers Antijudaismus siehe: Pfahl-Traughber, S. 34ff; Herzig, jüdische Geschichte, S. 73ff. »
  48. WA, 53, S. 523. »
  49. lms, Zigeunerbilder, S. 47. Schon allein deshalb, weil Luther die Transsubstantiationslehre ablehnte, müsste er auch den Glauben an den jüdischen Ritualmord und die Hostienschändung verneinen. In seinen frühen Schriften tat er dies auch. »
  50. Wippermann, Wie die Zigeuner, S. 39. »
  51. Solms, Zigeunerbilder, S. 47. »
  52. Solms, Zigeunerbilder, S. 46. »
  53. Siehe dazu: Wolf, S. 148. Wolf äußert sich dabei nicht über die Vergleiche mit ‚Zigeunern‘. »
  54. WA 18, S. 153. »
  55. WA 23, S. 167. »
  56. Zit. nach Awosusi, S. 9. »
  57. Siehe hierzu u. a. Fussnote 16 und 25. Dazu muss natürlich angemerkt werden, dass auch die Nationalsozialisten auf die von Luther (mit)tradierten Vorstellungen über Sinti zurückgegriffen haben. Die literarischen Konstruktionen, die den Chroniken entsprangen und die von Luther aufgegriffen und tradiert wurden haben – wie es Solms schreibt – mit dazu beigetragen, dass „die Bevölkerung bei der Deportation der deutschen Sinti und Roma wegsah“ (Solms, Zigeunerbilder, S. 9). Ebenso auch dazu, dass die Kirchen bei der Aussonderung mithalf und in der Öffentlichkeit schwieg (Solms, kulturloses Volk, S. 99). Besonders war aber Heinrich Himmler den in der Frühen Neuzeit entstandenen „Zigeunerbildern“ verhaftet. „Rassereine Zigeuner“ verfügten nach seinem Glauben über magische Fähigkeiten, weshalb er diese teilweise für Untersuchungen in einem Reservat konzentrieren wollte (Wippermann, Wie die Juden, S. 449). Bei Mischlingen hingegen wäre es zu einer Vermischung von „zigeunerischem Blut“ und dem Blut von „Asozialen“ und „Kriminellen“ gekommen (Wippermann, Auserwählte Opfer, S. 142). Gemäß dem Glauben, dass die Sinti und Roma von einem „zusammengelaufenen Gesindel“ abstammen würden, wie es vor allem in der Reformation tradiert wurde, wurden während dem Porajmos Wehrmachtshelferinnen, Arbeiter der Organisation Todt und Frontsoldaten als „Viertel“- und „Achtelzigeuner“ nach Auschwitz verschleppt und ermordet (vgl. zur Deportation: Krausnick, S. 23). Luther hat dabei keine direkte Schuld für den Porajmos. Er tradierte Bilder und Vorstellungen über Sinti aber schlicht aus Eigeninteresse ohne sich wirklich mit diesen zu beschäftigten und die Mehrheitsgesellschaft hinterfragte diese Bilder nie, sondern nutzte sie vielmals. Somit kann man auch beim Anitziganismus wie auch beim Antisemitismus nicht von einen ‚geraden Weg‘ sprechen, da dieser jederzeit hätte unterbrochen werden können.  »
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Autoreninformation

Miriam Breß ist staatl. anerkannte Sozialpädagogin (B.A.) und studiert Geschichte und Politikwissenschaften im Studiengang Bachelor of Arts sowie Erziehungswissenschaften im Master of Arts an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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Miriam Breß: „…wie die Zigeuner“ – Das Feindbild „Zigeuner“ bei Luther, in: Skriptum 3 (2013), Nr. 1, URN: urn:nbn:de:0289-2013051759, Abs. XY [Datum des Zugriffes].