Rezension: „Rheinhessen 1816-2016. Die Landschaft – Die Menschen“ von Gunter Mahlerwein

rezensiert von Anna Hoppe

‹1› Rheinhessen, ein überschaubarer Flecken Erde zwischen Rhein und Nahe, ist den meisten Menschen außerhalb von Rheinland-Pfalz zunächst kein Begriff. Doch schon der von Carl Zuckmayer in Bezug auf Rheinhessen verwendete Begriff der „Völkermühle“ verrät, dass die Region reich an historischen Schätzen ist. Passend zum 200. Geburtstag der Region schuf Gunter Mahlerwein mit seinem Werk „Rheinhessen 1816–2016. Die Landschaft – Die Menschen“ ein ausführliches Handbuch für jeden, der sich mit Rheinhessen in all seinen geografischen sowie politik-, sozial- und kulturgeschichtliche Facetten auseinandersetzen möchte.

‹2› Der Autor gliedert seine Betrachtungen in insgesamt sechs übergreifende Kapitel, die jeweils aus mehreren Unterkapiteln bestehen. Den Anfang bildet der Teil „Rheinhessen als Raum“, der Rheinhessen nicht nur als geologisches Gebilde vorstellt, sondern auch soziokulturelle und wirtschaftliche Räume wie beispielsweise die für die Region bedeutsame „Weinkulturlandschaft“ (S. 22) benennt. Die Existenz Rheinhessens als historischer Raum begrenzt der Autor auf den politischen Zeitrahmen der letzten 200 Jahre, obwohl er Anhaltspunkte für ein „kollektives Gedächtnis“ (S. 28) bereits für die Römerzeit nachweisen kann.

‹3› Auf dieser Grundlage widmet sich Mahlerwein dem ersten historischen Darstellungsteil seiner Ausführungen. In diesem befasst er sich unter anderem mit den Ereignissen, die Rheinhessen im 17. und 18. Jahrhundert prägten. Darüber hinaus erfasst er die Auswirkungen der beiden krankheits-, krieg- und konfliktreichen Jahrhunderte auf die demographische Entwicklung der Region. Dabei verliert er die Geschehnisse rund um Minderheiten, wie beispielsweise Juden und Baptisten, nicht aus den Augen und dokumentiert deren Rolle in der der Geschichte Rheinhessens. Seine Erkenntnisse untermauert der Autor zudem mit statistischen Erhebungen.

‹4› Der folgende Teil befasst sich mit der sogenannten Franzosenzeit. Behandelt wird die Neuordnung der Gesellschaft im Rahmen der Politik Napoleons. Ferner werden unter der Überschrift „Rheinhessen 1816–1914“ weitere tiefgreifende Transformationsprozesse thematisiert. Neben dem sozialen Wandel, den Mahlerwein unter anderem an Untersuchungen der Studenten- oder Arbeiterschaft konstatiert, beschäftigt er sich mit Modernisierungsprozessen wie dem Ausbau des Verkehrsnetzes sowie der Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinhessen. Große Aufmerksamkeit wird außerdem dem politischen Bereich, d.h. den Auswirkungen der 1848er Revolution und der Ära Bismarck zuteil.

‹5› Im letzten Kapitel wird auf die Zeit vom Beginn des Zweiten Weltkrieges bis in die Gegenwart eingegangen. Mahlerwein behandelt hier die beiden Weltkriege und die folgende Besatzungszeit mit Blick auf Rheinhessen. Am Ende wird die aktuelle wirtschaftliche und kulturelle Lage besprochen und Rheinhessen als aufstrebende Tourismusregion charakterisiert. Den Abschluss bildet das Nachwort von Volker Gallé.

‹6› Was auf den ersten Blick aufgrund des zweispaltigen Layouts als umfangreiche Lektüre erscheinen mag, ist im Gegenteil durch die angenehme Schreibweise und häufige Verwendung abwechslungsreichen Quellen- und Bildmaterials leicht verständlich. Einzig ein Personen-, Orts- oder Sachregister wird zur besseren Handhabung vermisst. Es finden sich abgedruckte Originalquellen neben zeitgenössischen Kunstwerken, die den Textfluss gekonnt brechen, besprochene Themen visualisieren und für den Leser greifbarer machen. Auch im Fließtext bezieht der Autor häufig durch Zitationen authentischer Berichte die überlieferten Schriftquellen mit ein.

‹7› Das Werk ist in fünf übergreifende Themenblöcke gegliedert, wobei kaum ein historischer Transformations- und Wandlungsprozess vergessen wurde. Neben einer Einführung in die geologische Beschaffenheit Rheinhessens und seine Abgrenzung im historischen Raumschema bezieht Gunter Mahlerwein in seine Untersuchungen auch die Menschen in Rheinhessen mit ein und stellt die Frage nach deren historisch gewachsenen Eigenarten. Durch die Kombination dieser struktur- und akteurszentrierten Perspektive gelingt ihm der Ausgleich zwischen einer bloßen Dokumentation geschichtlicher Ereignisse und der Heranführung an mikrogeschichtliche Einschnitte und Entwicklungen. Dabei sind seine Argumentationsstränge klar strukturiert und mit ausreichend Quellenmaterial belegt. Auf diese Weise beschränkt sich das Werk nicht auf historische Zäsuren und verweist auf Vorgänge in wirtschafts-, sozial- und religionsgeschichtlichen Bereichen, die nicht nur Rheinhessen betrafen. Dennoch bleibt der Eindruck, dass die Region rund um die dominierende Domstadt Mainz viel zu bieten hat, sei es an historischen Kapital oder aktuellen Tourismusangeboten.

‹8› Eine spezifisch rheinhessische Identität vermag der Autor den Einwohnern nicht zu attestieren, auch wenn Rheinhessen durchaus als „medial vermittelter Zusammenhang“ (S. 380) verstanden werden kann. Auch Gallé beantwortet die eingangs gestellte Frage in seinem Nachwort negativ, da er in der Historie Rheinhessens mit ihren stetig wechselnden Einflüssen durch Religion, Krieg oder Zuwanderung keine Grundlage für eine einheitliche Identitätsbildung gegeben sieht.

‹9› Nichtsdestotrotz wurde den „Rheinhessen“ mit dem besprochenen Werk eine rund um lesenswerte Gesamtdarstellung an die Hand gegeben, die eine kollektive Identitätsbildung letztlich unterstützt und sowohl für Historiker als auch geschichtlich interessierte Laien eine Bereicherung ist.

Rezensiert wurde:

Gunter Mahlerwein: Rheinhessen 1816–2016. Die Landschaft – Die Menschen. Mainz 2016, ISBN: 978-3945751145.

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Autoreninformation

Anna Hoppe ist Studentin des Bachelor-Studiengangs Historisch orientierte Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes.

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Zitationshinweis:

Anna Hoppe: Rezension: „Rheinhessen 1816-2016. Die Landschaft – Die Menschen“ von Gunter Mahlerwein, in: Skriptum 6 (2017), Nr. 1, URN: urn:nbn:de:0289-2017051166, Abs. XY [Datum des Zugriffes].